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Neoliberalismus | Trendsetter gegen Gewerkschaftsbewegung und Sozialstaat

Der gebürtige Österreicher Friedrich von Hayek ist der bedeutendste Vertreter des Neoliberalismus. Der Abbau des Sozialstaates ist für ihn ein erklärtes Ziel. Dieser Beitrag ist grundlegend und wichtig. Wer sich die Mühe macht ihn zu »studieren«, dem versprechen wir einige Aha-Erlebnisse. Er ist übrigens ein Abdruck aus der soeben erschienenen Neuauflage des Klenner.

Im Unterschied zu anderen liberalen Wirtschaftstheorien und Gesellschaftskonzepten zielt der Neoliberalismus darauf ab, den Geltungsbereich des Marktprinzipes über seinen ursprünglichen ökonomischen Wirkungszusammenhang hinaus auf die Sphäre politischer Entscheidungen und alle Bereiche des Zusammenlebens in der Gesellschaft auszudehnen. Es geht um die Eroberung der Politik durch die spontanen Kräfte und Werte des Marktes, wie aus den konkreten politischen Forderungen ersichtlich wird, die er erhebt: die Abschaffung des »gewerkschaftlichen Arbeitsmonopols«, die vorgebliche Entbürokratisierung öffentlicher Institutionen, die Reorganisation des »Volksparteiensystems« und die Einschränkung parlamentarischer Kompetenzen, die Liberalisierung der Märkte, eine Deregulierung und Dezentralisierung des öffentlichen Lebens und die Privatisierung staatlicher Unternehmen. Diese Forderungen wurden während der achtziger Jahre auch in Europa, und keineswegs nur in Großbritannien, vielfach politikbestimmend und führten dazu, dass notwendige Sanierungen der Staatshaushalte und Wachstumsförderungsmaßnahmen zunehmend zu Lasten des Sozialstaates gingen.

Der Markt entwickelt keine selbstheilenden Kräfte

Die Erschütterungen des Kapitalismus in den beiden Weltkriegen und in der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre waren die politischen Ursachen für die Entwicklung des Sozialstaates in allen westlichen Industrieländern. Die Nachwirkungen der großen Krise der dreißiger Jahre hatten deutlich gemacht: Der Markt entwickelt keine selbstheilenden Kräfte, eine Deflationspolitik in Form von Lohnsenkungen und Kürzungen der Staatsausgaben vergrößert nur das Desaster und Abwarten bringt keine Lösung. Als Reaktion auf diese Erfahrungen bildete sich nach dem Zweiten Weltkrieg der moderne Wohlfahrtsstaat heraus, in dem Anliegen verwirklicht werden konnten, die Gewerkschaftsbewegung und Sozialdemokratie bereits während der ersten Hälfte des Jahrhunderts durchzusetzen versucht und für kurze Zeit und regional begrenzt auch durchgesetzt hatten. Die österreichische Sozialgesetzgebung von 1918 bis 1921, die unter der Verantwortung des Gewerkschafters Ferdinand Hanusch als dem zuständigen Minister geschaffen worden war, und die international vorbildliche Politik des »Roten Wien« sind Beispiele dafür.
Der Wohlfahrtsstaat der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat drei wesentliche Elemente: Er geht zunächst von der Vorstellung aus, dass der Staat für die Wohlfahrt der Bürger in allen Bereichen, von der Beschäftigungschance über Gesundheit und soziale Sicherheit bis zur Bildung, verantwortlich ist (und dafür verantwortlich gemacht werden soll). Zweitens besitzt er die Legitimation, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung auch gegen den Markt zu steuern, und drittens beruht seine Funktionsfähigkeit darauf, dass er seine Bürger über ihre Interessenvertretungen nicht nur bei Parlamentswahlen am demokratischen Entscheidungsprozess beteiligt.

Nobelpreise für gewandelte Wertvorstellungen

Der Aufbau des Sozialstaates wurde nach 1945 durch viele politische und wirtschaftliche Faktoren begünstigt. Ein Faktor war die gestärkte Position der europäischen Gewerkschaftsbewegung, ein anderer seine Befürwortung durch die führende Wirtschaftsmacht USA. Von dort kamen auch während der sechziger Jahre die ersten Signale zur Trendwende. Die Politikberatung begann, die Abkehr von einer aktiven Einkommenspolitik zu predigen und für die »Feinsteuerung« der Wirtschaft durch Geld- und Fiskalpolitik zu argumentieren. Das aber brach einen Eckstein aus dem wirtschaftspolitischen Fundament des Sozialstaates und führte letztlich zu den hohen Budgetdefiziten, die der neoliberalen Kritik, der Sozialstaat sei zu teuer und würde wirtschaftlichen Fortschritt verhindern, Vorschub leisteten. Wie früh und wie umfassend der Wandel von politischem Grundkonsens und Wertvorstellungen einsetzte, belegt die Tatsache, dass ab 1974 fast alle Nobelpreise für Wirtschaftswissenschaften an Wissenschafter mit neoliberaler Ausrichtung vergeben wurden.
Staatliche Sozialleistungen des 19. Jahrhunderts belasteten die Staatsbudgets wenig, weil sie nur einzelnen Gruppen und nie der gesamten Bevölkerung zugute kamen. Damals, aber auch noch in den zwanziger Jahren wurden sie ausschließlich durch das Abschöpfen von Gewinnen finanziert, auf die Entwicklung des Wirtschaftsprozesses selbst nahm man keinen Einfluss. Daher war die Abhängigkeit der frühen Sozialsysteme von Wirtschaftskrisen und Strukturveränderungen in einem extrem hohen Ausmaß gegeben. Als Musterbeispiel dafür kann die Pensionsversicherung für Arbeiter in Österreich gelten, die 1927 zwar beschlossen, aber trotzdem während der Ersten Republik nie verwirklicht wurde, weil man ihre Einführung an eine »Wohlstandsklausel«, an die Besserung der wirtschaftlichen Gesamtlage und das Sinken der Arbeitslosenzahlen gebunden hatte.

»Soziale Gerechtigkeit ist sinnlos ...«

Da die Rechnung »Es muss erst produziert werden, damit verteilt werden kann« nicht aufgegangen war, suchte sich der moderne Sozialstaat eine neue ökonomische Basis. Er ging davon aus, dass umgekehrt die Einkommensentwicklung die Produktion beeinflusst, weil die Produktion umso mehr angekurbelt wird, je mehr die Bevölkerung konsumieren kann. Um das zu erreichen, darf die Einkommensverteilung aber nicht mehr einfach den Marktkräften überlassen werden; der Staat muss eingreifen. Zwei Grundprinzipien des Kapitalismus, der freie Wettbewerb und die Wahrung der bestehenden Eigentumsverhältnisse, wurden damit in Frage gestellt. Aus diesem Grund agiert der Neoliberalismus als entschiedener Gegner des Sozialstaates. Er will zwar dem Staat erlauben, den auf dem Markt Erfolglosen eine Existenzsicherung zuzugestehen, er spricht ihm aber das Recht ab, durch die Kombination von Verteilungs- und Wachstumspolitik das System des Kapitalismus in Frage zu stellen.
Der bedeutendste Vertreter des Neoliberalismus, der gebürtige Österreicher Friedrich von Hayek, der erste der Nobelpreisträger seiner Richtung, sprach 1981 offen aus, dass der Abbau des Sozialstaates für ihn kein Nebeneffekt neoliberaler Politik ist, sondern erklärtes Ziel: »Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit ist in einer marktwirtschaftlichen Ordnung völlig sinnlos.«

Zerschlagung des Sozialstaats und seine Befürworter

Die Kritik richtet sich gleichermaßen an den demokratischen Sozialstaat und an die mit ihm eng verbundene Gewerkschaftsbewegung: Der Staat sei de facto für das Herausbilden und Bestehen der Gewerkschaft verantwortlich, weil große Interessenorganisationen ohne unterstützende Rahmenbedingungen aufgrund der naturgegebenen Selbstsucht der Menschen gar keine Chance hätten. Nur weil diese Rahmenbedingungen gegeben sind, seien die Gewerkschaften zu übermächtigen Massenorganisationen geworden, die ihre Überlegenheit und ihre Monopolstellung zur Wettbewerbsbeschränkung auf dem Arbeitsmarkt nutzten. Als Konsequenz aus seiner Kritik verfolgt der Neoliberalismus das Ziel, den Arbeitsmarkt zu »entkartellisieren«, das heißt, die Kollektivvertragsautonomie der Gewerkschaften abzuschaffen, um eine umverteilungsneutrale Tarifpolitik zu erreichen und die Beteiligung der Gewerkschaftsbewegung am politischen Entscheidungsprozess einzuschränken. Die Angriffe auf den ÖGB, die Kammern als gesetzliche Interessenvertretungen in Selbstverwaltung, besonders auf die Arbeiterkammern, auf die Selbstverwaltung der Sozialversicherung und die Sozialpartnerschaft, aber auch auf das Ausüben von politischen Mandaten durch Funktionäre und leitende Angestellte der Arbeitnehmerinteressenvertretungen haben hier ihre Wurzeln. Über das Zurückdrängen des Einflusses der Gewerkschaftsbewegung und das Aushöhlen gesamtgesellschaftlicher Konfliktregelungs- und Steuerungsmodelle sollen dem Sozialstaat seine wichtigsten Befürworter und Instrumente entzogen werden.

Mehr »Freiheit«

Zwar wurden manche neoliberalen Vorstellungen über (fast) alle Parteigrenzen hinweg salonfähig, aber es bestehen trotzdem nach wie vor deutliche Unterschiede. Die Sozialdemokraten lehnen das gesellschaftspolitische Konzept, das hinter der neoliberalen Ordnung steht, nach wie vor im Grundsatz ab, übernehmen allerdings in vielen Ländern etliche neoliberale Rezepte wie jenes vom schlanken Staat in ihre politische Praxis. In den traditionellen konservativen und bürgerlichen Parteien findet die Ideologie der Neoliberalen wesentlich mehr überzeugte Anhänger, wenn auch nicht überall so politikbeherrschend wie bei den Republikanern der USA oder den britischen Konservativen. Als ihre kompromisslosesten Verfechter treten aber die neugestalteten rechtspopulistischen Parteien von Frankreich bis Österreich auf.
Obwohl diese Parteien ihre Anhänger ursprünglich in erster Linie aus Sympathisanten der besiegten faschistischen Systeme rekrutierten, entwickelten sie im Lauf der achtziger Jahre eine Programmatik, die sich in manchen Punkten von den traditionellen rechten Ideologien deutlich unterscheidet. Im Unterschied zum italienischen Mussolini-Faschismus oder den Nationalsozialisten beziehen sie sich weder in ihrer Propaganda noch in ihren Programmen auf eine »antikapitalistische Sehnsucht der Massen«. Harmonie innerhalb der Gesellschaft wird nicht dadurch erwartet, dass eine wahre Volksgemeinschaft den Klassenkampf beendet, vielmehr werden kollektive durch individuelle Interessen ersetzt: Alle werden gleich, wenn jeder das Recht hat, seine persönlichen Interessen in einem freien Markt zu verfolgen. In Aussicht gestellt wird nicht notwendigerweise mehr Wohlstand, in jedem Fall aber mehr Freiheit.

Frank Stronach und das FPÖ-Programm

Um dieses Programm zu verkaufen, entlehnt man gerne Begriffe, die mit ganz anderer Bedeutung von der politischen Linken oder der Gewerkschaftsbewegung geprägt worden waren - ein Punkt, an dem durchaus Übereinstimmungen mit der Taktik der faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit festzustellen sind. Dies gilt etwa für den Slogan vom »Dritten Weg«, der ursprünglich den Versuch umschrieb, ein Gesellschafts- und Politikmodell zu finden, das im demokratischen Rahmen ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit schafft und sichert; gemeint war ein Weg, die positiven Elemente der westlichen Demokratien mit sozialistischen Anliegen in Einklang zu bringen.
Wann immer seitens der rechtspopulistischen Parteien von einem »Dritten Weg« (oder einer »Dritten Republik«) die Rede ist, handelt es sich dagegen um die Ablehnung eines Kapitalismus, der das Entstehen von Monopolen begünstigt hätte, und der politischen Systeme, die dieses ermöglichen. Und im Einklang mit den neoliberalen Vorstellungen sieht man im »Arbeitsmonopol« der Gewerkschaften das schädlichste Monopol, weil es eine marktgerechte Preisbildung für die Arbeit verhindern würde.

Programm gegen ÖGB und AK

Konsequent hieß es etwa in programmatischen Erklärungen der FPÖ Mitte der neunziger Jahre, an die Stelle kollektivvertraglicher Vereinbarungen müsse die »individuelle und betriebliche Vereinbarungsfreiheit« treten. Aus diesem Grund sahen die FPÖ-Erklärungen das »Zurückdrängen der parteipolitisch orientierten Sozialpartner und Gewerkschaften« als zentrale Aufgabe. Das 1998 beschlossene neue Parteiprogramm der FPÖ mit seiner verbalen Distanzierung vom Neoliberalismus und die Tatsache, dass auf ihre Initiative die »Freie Gewerkschaft Österreichs« gegründet wurde, stehen dazu nur scheinbar in Widerspruch. Hinter dem Bekenntnis zur »Fairen Marktwirtschaft«, einem Begriff, der, wie FPÖ-Chef Jörg Haider ausdrücklich betonte, von dem (bekannt gewerkschaftsfeindlichen) Unternehmer Frank Stronach stammt, steht letztlich nichts anderes als die Ablehnung des Monopolkapitalismus: »Im Modell der fairen Marktwirtschaft verwirklichen Produzenten und Konsumenten frei von staatlicher Intervention ihre Interessen bestmöglich ... Eine umfassende Deregulierung des Wirtschaftslebens wird als Garantie für die Prosperität der österreichischen Wirtschaft und Stabilität des Arbeitsmarkts angestrebt.« Gleichzeitig wird unter dem Slogan von der »betrieblichen Partnerschaft« eine Unternehmenskultur befürwortet, in der Betriebsverfassungen eine verantwortliche Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über »Beteiligungsmodelle regeln« - ein Hinweis darauf, dass das Ziel des Zurückdrängens von ÖGB und Arbeiterkammern als überbetriebliche Interessenvertretungen unverändert verfolgt wird. Die gegen das Konfliktregelungsmodell der Sozialpartnerschaft gerichtete Forderung nach einer Reduktion der Arbeiterkammerumlage um 50 Prozent und der Wirtschaftskammerumlage II des Beschäftigungsprogramms der FPÖ vom Frühjahr 1998 bestätigte diese Vermutung.

Auch in der Auffassung über die Rolle des Staates waren bei den politisch relevanten rechtspopulistischen Parteien der neunziger Jahre Übereinstimmungen mit dem Neoliberalismus zu erkennen. Die neoliberale Diagnose zum demokratisch-parlamentarischen Staat ist niederschmetternd. Die Angriffe erfolgen aus zwei Richtungen: einerseits in der Variante der tyrannischen Bürokratie, die den Staat zwar als stark, aber als von den Beamten missbraucht darstellt, andererseits in der Variante des schwachen Staates, der eine Beute von Interessengruppen, vor allem der Gewerkschaftsbewegung, sei, die die Verteilung zu ihren Gunsten und zu Lasten des Wachstums manipuliere. Als endgültige Lösung des Problems der von ihr behaupteten Fehlentwicklung bietet die neoliberale Theorie zwei Modelle an. Entweder soll ein Rat von Weisen die wichtigeren Staatsgeschäfte betreiben oder es soll eine Situation herbeigeführt werden, in der jede staatliche Lenkung unterbleibt. Staatliche Macht existiert dann nur noch, um die Freiheit der Tauschgeschäfte auf dem Markt zu garantieren. Der schlanke Staat muss zu diesem Zweck allerdings äußerst machtvoll sein. Zwar schafft der neue Staat des Neoliberalismus die formale Demokratie nicht ab, er kann aber, wenn es darum geht, die Interessen des freien Marktes zu schützen, zeitweise durchaus zu Methoden der offensiven Diktatur greifen. Das Engagement der neoliberalen Wirtschaftswissenschafter der Chicago-Schule in Chile, die für den Sturz der demokratisch gewählten Regierung Allende Anfang der siebziger Jahre, für die anschließende Diktatur und die folgende Entwicklung zu einem neoliberalen Staat das ideologische Unterfutter lieferten, war eine im wahrsten Sinn mörderische Umsetzung der Theorie in die Praxis. Chiles Diktator Pinochet nahm die Theoretiker beim Wort, als er seine Politik damit rechtfertigte, dass Demokratie zwar gut sei, gelegentlich aber in Blut gewaschen werden müsse.

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