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Das Ende der Sozialpartnerschaft?

Das Regierungsprogramm zwischen ÖVP und FPÖ sieht unter dem Übertitel »Starke Demokratie« den Punkt 11 vor, der eine Absichtserklärung in zweifacher Form deklariert: 1. Verlagerung von der überbetrieblichen in die betriebliche Mitbestimmung in Bezug auf Arbeitszeit, Betriebszeiten, Kollektivvertragsrecht. 2. Betonung des Servicecharakters der Kammern und Neugestaltung des Kammerwahlrechts. Diese Absichtserklärung trägt den Titel: »Reform der Sozialpartnerschaft«, tatsächlich ist der Punkt 11 die Absichtserklärung zur Abschaffung der Sozialpartnerschaft in Österreich bzw. zur Abschaffung der Sozialpartnerschaft zwischen den Verbänden der Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Der Angriff auf die Wirtschaftskammern

Die Verlagerung der Kollektivvertragspolitik von der überbetrieblichen auf die betriebliche Ebene ist vorerst einmal ein Angriff auf die Wirtschaftskammer Österreich und die Länderkammern sowie auf die Industriellenvereinigung und die freien Verbände der Arbeitgeber (Bankenverband, Versicherungsverband usw.). Denn gemäß § 4 ArbVG sind die Industriellenvereinigung und die freien Verbände primär, die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) sekundär kollektivvertragsfähig. Diese KV-Fähigkeit würde auf die Betriebe übergehen und somit wäre jede makroökonomische Steuerbarkeit für die österreichische Marktwirtschaft im Bereich der Lohn- und Gehaltskosten sowie der Arbeitsbeziehungen vernichtet. Die Arbeitsbeziehungen würden in den Betrieben verhandelt und entzögen sich dadurch der Kartellierungsmöglichkeit durch die Verbände. Das hätte zur Folge, dass die Großbetriebe, die bessere Löhne und Gehälter zahlen können, auch mehr als jetzt das bessere Personal bekämen, dass Lohndumping Platz greifen könnte und der Wettbewerb auf dem Markt über die Lohnkosten genauso ausgetragen wird wie über die Produktqualität und den Service. In allen Ländern, die auf Betriebsebene Kollektivverträge verhandeln, führte das zu massiven Lohnsenkungen und einem Verfall der Massenkaufkraft. Das gilt für die USA genauso wie zum Beispiel für Luxemburg, Frankreich, England usw.
In Österreich tragen die WKÖ und die freien Verbände auch noch dazu bei, dass es in der KV-Politik einen sinnvollen Ausgleich zwischen Groß- und Kleinbetrieben und regionalen Bedürfnissen gibt. Das ist für Österreich wegen der minimalen Betriebsgrößen sehr wichtig, denn über 80 Prozent der österreichischen Betriebe haben Beschäftigtenzahlen unter 100 und sind daher nicht so beweglich wie größere Betriebe. Das Funktionieren der österreichischen sozialen Marktwirtschaft würde in Frage gestellt werden, weil kein Arbeitgeberverband mehr regulierend und steuernd eingreifen könnte, um den Wettbewerb fair zu halten.
Der große KV-Partner WKÖ hätte nur noch Aufgaben gegenüber dem Staat, würde aber seine traditionelle Rolle als überbetrieblicher Sozialpartner verlieren. Die KV-Politik österreichischer Prägung sicherte nicht nur die Stabilität in der Wirtschaft, sondern führte auch zum verbandsinternen Interessenausgleich in der WKÖ, denn es gibt nicht »das Wirtschaftsinteresse«, sondern viele egoistische Branchen- und Betriebsinteressen, die koordiniert werden müssen.

Der Angriff auf die Gewerkschaften

Eine Verlagerung der Kollektivvertragspolitik auf die Betriebsebene würde wie in anderen Ländern dazu führen, dass die Gewerkschaften allein für den Interessenausgleich in der Wirtschaft sorgen und gegen Betriebsegoismen kämpfen müssten. Für die Gewerkschaften bedeutete der Verlust der Verhandlungspartner auf Verbandsebene eine enorme Belastung, müssten doch für Tausende Betriebe Kollektivverträge verhandelt und abgeschlossen werden, was, wie in Beispielländern der OECD gezeigt wird, dazu führt, dass die KV-Dichte extrem abnimmt.
Wir sind derzeit in Österreich OECD-Meister mit 98 Prozent KV-Dichte, wohingegen die USA mit einer breiten betrieblichen KV-Ebene bei 12 Prozent KV-Dichte halten. Der Schutz der Arbeitnehmer würde daher stark abnehmen. Fast die Hälfte der Amerikaner verdient heute weniger als vor zehn Jahren, und Streiks sind an der Tagesordnung. Dass Österreich Streiks nur in Sekunden misst, ist auch Folge unseres ausgewogenen Kollektivvertragssystems.
Aus der Absichtserklärung der Bundesregierung geht nicht hervor, ob sie auch plant, die KV-Fähigkeit der Gewerkschaften zu streichen und die kollektive Rechtsgestaltung nur durch die Betriebsräte auf Arbeitnehmerseite durchführen zu lassen. Sollte das beabsichtigt sein, so würde das zu massiven Protesten des ÖGB und der europäischen Gewerkschaftsbewegung führen, denn Österreich wäre das einzige Land, in dem Gewerkschaften keine KV-Fähigkeit besäßen. Keine Gewerkschaftsbewegung kann sich einen derart schwer wiegenden Eingriff in die kollektive Gestaltungsautonomie gefallen lassen, da sie sich ja sonst selbst in Frage stellt.
Außerdem sind Betriebsräte im Allgemeinen nicht stark genug, in einer Kollektivvertragsverhandlung dem Druck des Betriebes und der Betriebsleitung standzuhalten. Dort aber, wo Betriebsräte stark sind, würden sich (siehe USA) »Closed Shop-Systeme« entwickeln, die in keiner Weise positive Entwicklungen in der Wirtschaft wären. Wo aber keine Betriebsräte errichtet sind, also in den vielen Kleinbetrieben, gäbe es nur Einzelvereinbarungen, wo der wirtschaftlich schwächere Arbeitnehmer immer nehmen müsste, was er bekommt. Ein Lohngefälle großen Stils und eine absolut ungute Arbeitszeitentwicklung wäre absehbar. In Ländern ohne Kollektivverträge herrscht ein hohes soziales Ungleichgewicht. Die Schwachen würden auch bei uns noch schwächer, die Starken stärker. Häufige Streiks wären die Folge.

Der Angriff auf die Sozialpartnerschaft

Die durch gemeinsames Wollen unserer Vorfahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Sozialpartnerschaft wäre mit den Ideen der Bundesregierung zur »Reform der Sozialpartnerschaft« in Frage gestellt. Ein bewährtes System, das Österreich groß gemacht hat und um das uns alle Welt beneidet, wäre in Gefahr, nur weil einige offenbar es darauf angelegt haben, dem Konsens den Konflikt folgen zu lassen und nicht umgekehrt. Wie anders ist sonst die Betonung des Servicecharakters der Kammern zu verstehen.
Kammern sind nämlich keine Serviceeinrichtungen, sondern selbstverwaltete Mitbestimmungsorgane der Bürgerinnen und Bürger, die im Verfassungsrang die Teilhabe der Österreicherinnen und Österreicher an den Aufgaben des Staates sicherstellen. Gerade diese Funktion der Kammern steht im Vordergrund und ist der Anlass, warum in den gesetzlichen Körperschaften (Kammern) Wahlen stattfinden. Der Service in den Kammern ist ein Nebenprodukt der Tatsache, dass Experten für die Mitbestimmungsarbeit benötigt werden. Jede Betonung des Servicecharakters der Kammern stellt diese in Frage. »Wozu soll ich Arbeitsrechtsexperten denn wählen«, wird sich mancher fragen, Wahlen sind doch nur sinnvoll, wenn politisch agiert und nicht nur beraten wird.
In diesem Zusammenhang stellten sich die Kammern nicht nur selbst in Frage, würden sie zu Serviceeinrichtungen verkommen, sie begännen einen Diskurs über die eigene Notwendigkeit, über die sich trefflich diskutieren ließe, mit allen Konsequenzen, die ich hier lieber nicht andenken möchte.

Ein Zurück in das »18. Jahrhundert« kommt nicht in Frage!

Es gab schon einmal eine Zeit (von 1935-1938), da waren in Österreich die Gewerkschaften abgeschafft und man musste damals eilig Maßnahmen überlegen, wie denn der Rechtsübergang von den bestehenden KV-Vereinbarungen zu neuen zu schaffen sei. Man brachte damals die Arbeitswelt gehörig durcheinander, keiner wusste mehr, welche Vereinbarung für wen galt, und man schuf einen staatlich verordneten Gewerkschaftsbund (ein Unikum ersten Ranges), um wieder Stabilität einkehren zu lassen. Es ging damals nicht mehr. Es war zu spät und es war auch der falsche Weg.
Es darf nach den Erfahrungen der Vergangenheit nie mehr dazu kommen, dass aus Unbedarftheit oder aus Egoismus einiger der soziale Friede in Österreich zerstört wird. Denn sowohl die Verkürzung der Aufgaben der Wirtschaftskammern als auch der Gewerkschaften und der Arbeiterkammern wäre ein Rückschritt. Der Korporatismus, mit dem Willen zum Ausgleich der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberinteressen durch Verbände, ist eine der Erkenntnisse aus der unseligen Zeit des Wirtschaftsabsolutismus. Partnerschaft und Solidarität sind nicht nur menschenwürdig, sondern auch die klügste Form menschlicher Kooperation in der Wirtschaft. Die Reduzierung der WKÖ und der AK zu Serviceorganisationen wäre ein Schaden für ganz Österreich und unseren Wirtschaftsstandort. Ich habe nie geglaubt, mich einmal für die Wirtschaftskammern stark machen zu müssen, denn es geht der Regierung offenbar um ein Ausschalten der Verbändeebene in der Sozialpartnerschaft, sodass die qualifizierte Kritik aus dieser Ecke geringer wird.
Als Gewerkschafter wehre ich mich aber vor allem gegen den unzulässigen Eingriff in die Kollektivvertragsautonomie der Verbände. Das widerspricht dem Geist unserer Verfassung und ist ein Zurück hinter das Jahr 1848.

Chaos im Arbeitsrecht

Das Chaos im Arbeitsvertragsrecht ist ein weiterer Aspekt, den ich sehe und fürchte, käme es wirklich zu einer Verlagerung der KV-Politik von der überbetrieblichen auf die betriebliche Ebene. Welcher Vertrag gilt dann? Was geschieht mit den bestehenden Kollektivverträgen und den geänderten Vertragspartnern? Wird man dann stärker mit der Satzung arbeiten müssen? Was geschieht mit der zu erwartenden Flut von Feststellungsverfahren und Leistungsklagen, wo jetzt schon der Zugang zum Recht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so erschwert ist?
Welches Kammersystem wollen wir denn in Zukunft und welche Forderung verbirgt sich hinter der »Neugestaltung des Kammerwahlrechtes«?
Fragen über Fragen, die dringend einer Antwort bedürfen! Eines zeigt sich aber klar: »Reform der Sozialpartnerschaft« soll heißen »Infragestellung derselben«!
Nach so vielen Jahren erfolgreicher Arbeit durch und in der Sozialpartnerschaft kann diese berüchtigte »Absichtserklärung Nr. 11« nicht mit der Regierung verhandelt, sondern nur verhindert werden. Es ist gut, dass auch die WKÖ gegen die eigene »Marginalisierung« opponiert.

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