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Lagermitarbeiter in einer Aufbewahrungshalle

Fließband-App

Schwerpunkt Digitalisierung

Die Automatisierung ökonomischer Prozesse ist nicht neu. Das Digitalisieren von Dienstleistungen gestaltet den Arbeitsmarkt grundlegend um.

Der Prozess der Digitalisierung von Arbeit transformiert Arbeit in allen Facetten, verändert Tätigkeitsprofile und Organisationspolitik, Produktionsketten und Beschäftigungsverhältnisse, schreiben die deutschen Soziologen Oliver Nachtwey und Philipp Staab in ihrem Aufsatz „Die Avantgarde des digitalen Kapitalismus“, erschienen in der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Wohin die Entwicklung bei der Beschäftigung im digitalen Produktionszeitalter geht, ist ungewiss. Die Frage, wie ein ‚digitaler Kapitalismus‘ aussehen könnte, führt aber nicht ins Reich reiner Spekulation, denn in einigen wichtigen Unternehmen des Weltmarkts ist er bereits Realität.
Die vier einflussreichsten Schlüsselunternehmen der Internetökonomie, Amazon, Apple, Google und Microsoft, geben die Richtung vor, wie die Arbeit im kommerziellen Internet gestaltet werden könnte. Sie bilden, so die These von Nachtwey und Staab, die Avantgarde des Kapitalismus in digitaler Ausprägung. Ihr primäres Kapital, das digitale Feedback der KonsumentInnen, trägt zu weiterer Rationalisierung bei und ist ein Rohstoff, der kaum versiegt.

Digitale Lagerlogistik
Trotz eines futuristisch anmutenden Logistiksystems erinnern die Arbeitsbedingungen bei Amazon an Fabriken zu Beginn der Industrialisierung. Das datengesteuerte Effizienzgebot gilt gleichermaßen für Waren wie für MitarbeiterInnen. Strichcode-Lesegeräte weisen den Arbeitskräften den effizientesten Weg, erfassen die ankommende Ware, messen aber auch die Arbeitszeit. Was früher das Fließband war, sind heute Apps und Algorithmen.
„Wir machen jeden Tag dieselbe Arbeit“, berichtet etwa ein Lagermitarbeiter vom Amazon-Standort Leipzig. „Am Morgen bekommen wir die Vorgaben, dann nimmt man seinen Wagen mit den Artikeln, die scannt man ab und räumt sie dann ins Fach, den ganzen Tag.“ Vor fünf Jahren hatte die deutsche Gewerkschaft verdi erstmals zu Streiks aufgerufen. Das Ziel – Verhandlungen über einen Tarifvertrag – wurde bisher nicht erreicht.
„Bei Arbeit 4.0 stellt sich in Hinblick auf Technikgestaltung und Arbeitsorganisation die Frage, welche Rolle den Arbeitenden und ihrem Erfahrungswissen beigemessen wird“, meint der Soziologe Jörg Flecker in seinem Beitrag zum österreichischen Sozialbericht zum Thema „Arbeit 4.0“. Mit einer technikzentrierten Entwicklung würden Chancen auf Beschäftigung und günstige Arbeitsbedingungen verschenkt, während eine humanzentrierte Technik arbeits- und sozialpolitische Ziele verfolgen könne.

Crowdwork und Crowdsourcing
Bei Crowdwork, also der Auslagerung einzelner Arbeitsschritte in eine betriebsexterne Masse (Crowd) selbstständiger Arbeitskraftanbieter, wird digitale Einfacharbeit (Clickwork), aber auch hochspezialisierte Arbeit im IT- oder Kreativ-Bereich vergeben.
Auch analoge Arbeitskräfte werden über Plattformen wie Uber oder MyHammer digital vermittelt. Die von der AK Wien geförderte Forschungsarbeit „Österreichs Crowdworkszene“ der britischen Soziologin Ursula Huws befasste sich erstmals näher mit den Arbeitsbedingungen in der „Gig-Economy“ in Österreich. Jede/r Fünfte der Befragten hatte bereits digital vermittelte Jobs ausgeführt.
Nur für eine Minderheit ist Crowdwork die einzige bzw. wichtigste Einkommensquelle, elf Prozent beziehen über die Hälfte des Einkommens daraus. Dieses ist generell bescheiden: Fast 50 Prozent verdienen (nicht nur aus Crowd-Arbeit) weniger als 18.000 Euro im Jahr. Unter den „digitalen MassenarbeiterInnen“ gibt es viele, die qualifizierte und nicht qualifizierte Arbeit gleichermaßen anbieten. Am häufigsten (74 Prozent) sind Büroarbeit, Hilfstätigkeiten und „Click-Arbeit“. 62 Prozent sind im Kreativ- oder im hochspezialisierten IT-Sektor tätig.
Ein Report der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zeigt, dass weltweit bereits mehr als 20 Millionen Menschen auf den elf größten Crowdsourcing-Plattformen registriert sind. Weltweit agierende Unternehmen wie Siemens, IBM, SAP, Bosch und BMW lagern Clickwork und qualifizierte Arbeit, wie Design oder Software-Entwicklung, über eigene Plattformen aus.
„Die Gig-Economy untergräbt die normativen Arbeitsmodelle“, meint die britische Arbeitsforscherin Ursula Huws. „Sie führt zu Entprofessionalisierung. Kundenbewertungen sind Werkzeuge dazu. Eine Arbeit wird nicht mehr durch Kollegen bewertet, sondern durch den Kunden, der von Faktoren beeinflusst ist, die nichts mit der Arbeit zu tun haben. Leute geben eine schlechte Bewertung, weil ihnen das Gesicht des Uber-Fahrers nicht gefällt.“

Atomisierter Wettbewerb
Die Digitalisierung bietet auch neue Möglichkeiten hybrider betrieblicher Beschäftigungssysteme. ArbeitnehmerInnen werden zunehmend an der Peripherie des Unternehmens angesiedelt, wo sie nach Bedarf über Crowdsourcing-Modelle in den Arbeitsprozess integriert werden können.
Durch die Arbeit „on demand“ löst sich die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben zunehmend auf. „Mit der Organisationsmitgliedschaft ist der Konfliktpartner abhandengekommen, mit dem auch Kompromisse geschlossen werden können. Atomisierter Wettbewerb tritt an die Stelle kollektiver Konflikte. Dem Arbeitskraftanbieter bleibt nur die Expansion der eigenen Arbeitszeit“, schreiben Nachtwey und Staab.
Noch verdienten sich auf den digitalisierten Arbeitsmärkten vielfach Selbstständige oder studentische ClickworkerInnen ein Zubrot zu regulärer Beschäftigung. Der digitalisierte Kapitalismus zeige aber Monopolisierungstendenzen. Er zerstört kollektive Institutionen und setzt auf freie Marktakteure, die autonom, aber machtlos um Aufträge konkurrieren.
Weniger drastisch fällt die Prognose des österreichischen Soziologen Flecker aus. „Digitale Arbeit kann mit der Ausweitung von Handlungsspielräumen und partizipativen Managementformen verbunden sein, aber auch mit hoch arbeitsteiligen und dequalifizierenden Formen der Arbeitsgestaltung.“ Niedrig Qualifizierte würden aber voraussichtlich weiter unter Druck geraten.
Geeignete politische Maßnahmen könnten den Verlust von Arbeitsplätzen zumindest minimieren. Schreckensszenarien wie „Uns geht die Arbeit aus“ liegt oft die viel zitierte „Oxford-Studie“ von Frey und Osborne zugrunde, die das Automationsrisiko von Berufen beschreibt. Demzufolge sind in den nächsten Jahren 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA automatisierbar.
Andere Untersuchungen schätzen, dass im Durchschnitt der 21 OECD-Länder neun Prozent, in Österreich zwölf Prozent automatisierbar sind. Laut Studie des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) über die Beschäftigungswirkung von Industrie 4.0 in Deutschland entstehen bis 2020 zusätzlich 250.000 Arbeitsplätze, 260.000 könnten verloren gehen. Demnach ist die Wirkung im Saldo gering – bei beträchtlicher Verschiebung innerhalb der Berufe.

Gerechte Verteilung
Durch die Digitalisierung der Arbeit stellt sich eine alte Frage neu: Wie organisiert sich das globale „Cybertariat“, wenn bisherige Institutionen des Arbeitsmarktes wegfallen? Ansatzpunkte ergäben sich laut dem Soziologen Jörg Flecker daraus, dass sich die Arbeit über das Internet nicht im globalen Cyberspace auflöst, sondern in der Regel noch im nationalstaatlichen, zumindest aber im europäischen Rahmen verbleibt.
Arbeitszeitverkürzung wäre ein Ansatz, meint Flecker. „Wir könnten mit weniger Erwerbsarbeit auskommen, wenn eine gerechtere Verteilung garantiert, dass alle an der stärker automatisierten Wertschöpfung teilhaben.“

Lesetipp: „Arbeit 4.0 – Auswirkungen technologischer Veränderungen auf die Arbeitswelt“, Jörg Flecker et al. In: „Sozialpolitische Entwicklungen und Maßnahmen 2015–2016“:
tinyurl.com/y8lf8s87

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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