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Christian Zoubek auf seinem BioHof Adamah in Glinzendorf Christian Zoubek prüft, wie weit die Saatkartoffeln schon austreiben. Im Marchfeld gedeihen alle Arten von Wurzelgemüse besonders gut.
Bild oben: Senada ist Packerin für die BioKistln. Bild unten: Christian Brenner ist Personalverantwortlicher am BioHof Adamah. oben: Senada arbeitet in der Landwirtschaftshalle als Packerin für die BioKistln.
unten: Christian Brenner ist Personalverantwortlicher und schätzt die Vertrauensgleitzeit.
Bild oben: Kulturtechniker Johannes arbeitet gerne abends länger. Bild unten: Robert ist stellvertretender Produktionsleiter und seit Jänner am BioHof Adamah. oben: Kulturtechniker Johannes kommt gerne später und arbeitet dafür abends länger.
unten: Robert ist seit Jänner stellvertretender Produktionsleiter. Ihm gefällt das Arbeitsklima.

Reportage: Der vertrauensvolle Bauer hat die dicksten Kartoffeln

Schwerpunkt Gesellschaftspolitik im Regierungsprogramm

In immer mehr Branchen beweisen Unternehmen ihre Flexibilität und ermöglichen den Beschäftigten, ihre Arbeitszeit mitzugestalten. Unternehmen wie der Bio-Bauernhof Adamah setzen auf die Vertrauensgleitzeit.

Das Marchfeld im Osten von Wien: Kein noch so kleiner Hügel bremst den Blick, die Windräder ziehen träge ihre Kreise an diesem sonnig-kalten Märzmorgen. Die meisten Äcker sind noch braun, nur die Spargelhügel sind mit weißen Folien bedeckt. Auch auf dem BioHof Adamah in Glinzendorf fehlt noch der bunte Blumenschmuck. Die Nussbäume im Garten sind kahl, doch hinter den Scheunentoren und in den Folientunneln hat der Frühling schon begonnen. Im Hofladen herrscht bereits geschäftiges Treiben, die Körbe und Regale sind gut gefüllt. Zwischen 9 und 18.30 Uhr, samstags bis 16 Uhr, können sich hier Ernährungsbewusste aus Wien und Umgebung mit Bio-Lebensmitteln versorgen.
Der Name Adamah kommt übrigens aus dem Hebräischen und bedeutet lebendige Erde. Im Jahr 1995 hat das Ehepaar Zoubek den Bauernhof erstanden, um hier in Zukunft Karotten, Sellerie, Radieschen und Co biologisch anzubauen. 1997 war die Umstellung abgeschlossen und das von vielen kritisch beäugte Projekt startete. Es wurde eine österreichische Erfolgsgeschichte: Heute ist der BioHof mit anderen Bio-Produzenten international vernetzt, im Webshop werden 2.400 Produkte angeboten, pro Woche rund 8.000 BioKistln ausgeliefert. Und fast jedes Jahr gibt es eine Auszeichnung, 2017 etwa den TRIGOS Niederösterreich für „Ganzheitliches CSR-Management“. Einer von mehreren Gründen für die Auszeichnung war das besondere Arbeitszeitmodell, das bei Adamah gelebt wird: die Vertrauensgleitzeit.
Vor rund sieben Jahren wurde dieses Modell ganz offiziell etabliert. Flexibel war man hier schon immer, „aber wir wollten dem Ganzen einen Namen geben und dass alle über ihre Rechte und Pflichten genau Bescheid wissen“, erzählt Christian Zoubek. Er ist der älteste Sohn von Gerhard und Sigrid Zoubek. Die drei Söhne und die Tochter sowie zum Teil auch deren PartnerInnen sind im elterlichen Betrieb beschäftigt. „Vertrauensgleitzeit, das bedeutet, dass die Beschäftigten zwar wie gesetzlich vorgeschrieben Arbeitszeitaufzeichnungen machen müssen, aber es gibt keine Kernzeit. Wenn jemand früher gehen oder länger Mittagspause machen will, dann ist das kein Problem.“
Gleitzeit für FeldarbeiterInnen, geht das? „Tatsächlich ist das Modell nur für unsere Büroangestellten möglich, schon deshalb, weil es im Kundendienst ja fixe Zeiten gibt. Aber an sich sind wir auch in den anderen Bereichen, wie zum Beispiel bei den PackerInnen, sehr flexibel. Unsere Teilzeitmodelle reichen von 16 bis 32 Wochenstunden. Der Kundendienst, etwa die Webshop-Betreuung, arbeitet zum Teil im Homeoffice. An schönen Tagen sitzen die MitarbeiterInnen auch draußen im Freien mit ihren Laptops. Der Telefon-Kundendienst funktioniert bis dato nur hier vor Ort, obwohl wir dabei sind, die Telefonanlage so zu ändern, dass KundInnen mit unserer Telefonnummer auch MitarbeiterInnen im Homeoffice erreichen.“ Allerdings gebe es in dieser Gegend noch immer keine ausreichend schnelle Internetverbindung. Betriebsrat gibt es bei Adamah übrigens keinen. Bisher sei noch kein Beschäftigter in diese Richtung aktiv geworden – auch wenn ein fixer Ansprechpartner vielleicht manche Veränderungen erleichtern würde, gesteht Zoubek ein und denkt dabei an die aktuelle Datenschutz-Grundverordnung.

Drei Stunden Mittagspause
In der großen Küche, die direkt an den BioLaden anschließt, steht ein riesiger rustikaler Esstisch. Hier wird täglich für die Angestellten frisch gekocht und für die ArbeiterInnen und FahrerInnen werden Jausenpakete zusammengestellt. Der Personalverantwortliche Christian Brenner – bei Adamah arbeiten zur Hauptsaison um die 125 Beschäftigte – kommt vorbei und setzt sich kurz dazu. Er findet die Vertrauensgleitzeit optimal für sich selbst, weil er gerade ein Studium absolviert, aber auch für die KollegInnen. „Früher musste man den Bereichsleiter vorher fragen, wenn man früher gehen oder später kommen wollte. Jetzt ist das nur in Ausnahmefällen nötig, etwa wenn ein Projekt beendet werden muss.“ So ist es möglich, dass eine Mitarbeiterin, die im Nachbarort wohnt, manchmal zwei bis drei Stunden Mittagspause macht und eine andere während eines bestimmten Zeitraums weniger arbeitet, weil ihre Kinder Ferien haben. Es gibt aber auch einen jungen Angestellten ohne Kinder, der Teilzeit arbeitet, weil er einfach mehr Freizeit haben will.
„Wir legen Wert darauf, dass unsere Mitarbeiter das möglichst eigenverantwortlich regeln – natürlich im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten“, so Christian Zoubek. „Und wir haben bisher noch keine schlechten Erfahrungen damit gemacht. Es geht eher um das Bremsen der Übermotivierten. Aber da reicht in der Regel das Gespräch.“ Serverabschaltungen abends oder am Wochenende seien nicht nötig.

Grüne Ampel
Gleitzeit von 6 bis 22 Uhr ohne Kernzeit, das funktioniert seit 2004 auch im Non-Profit-Unternehmen ABZ Austria, das sich mit der Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt beschäftigt. Die Bedingungen hier sind allerdings ganz anders. Viele der rund 170 MitarbeiterInnen haben längerfristig vereinbarte Beratungstermine oder arbeiten zu bestimmten Zeiten mit Teilnehmerinnen in Workshops. Der Großteil arbeitet Teilzeit. Eineinhalb Jahre haben Geschäftsführung und Betriebsrat gemeinsam mit einem externen Berater an dem Modell gebastelt. Seit einiger Zeit erleichtert eine spezielle Software die Arbeitszeitaufzeichnung. Mit dem Ampelsystem in den Farben Grün, Orange und Rot erkennen die Beschäftigten jederzeit auf einen Blick den Stand ihres Arbeitszeitkontos und wie weit sie im Plus oder Minus sind. Erreicht der Saldo die doppelte Summe der Wochenarbeitszeit (= Orange), wird gemeinsam mit der Vorgesetzten ein Plan erstellt, wie man wieder in den grünen Bereich kommt.
„Das System ermöglicht unseren MitarbeiterInnen viel Eigenverantwortung in der Zeiteinteilung. Technik wird bei uns zur Unterstützung eingesetzt und nicht zur Kontrolle. Bei Rot wird der Betriebsrat aktiv und es wird geschaut, wie es dazu kommen konnte“, beschreibt Geschäftsführerin Manuela Vollmann das Ampelsystem. „Rot gab es eigentlich ganz selten und nur anfangs, bis sich alle an das Modell gewöhnt hatten. Heute dominiert die Farbe Grün und selbst Orange kommt nur selten vor.“ Auch bei der jungen PR-Verantwortlichen Lena Obermaier, die seit rund einem Jahr bei ABZ Austria arbeitet und neben ihrem 30-Stunden-Job Gender Studies studiert, war die Zeitliste bisher noch nie gelb. „Zu Semesterbeginn vereinbaren wir meine Arbeitszeiten und eventuell auch die Homeoffice-Tage. Das klappt wirklich sehr gut.“

30 Stunden als Ziel
Bei ABZ Austria gibt es insgesamt 24 Teilzeitmodelle auf Basis einer Fünftagewoche. „Diese Flexibilität bedeutet viel Arbeit unter anderem für die Personalabteilung, aber unser Kerngeschäft ist die Vereinbarkeit von Familie und Berufsleben, und wir können nicht Wasser predigen und Wein trinken“, so Vollmann. „Das war auch der Grund für die Entwicklung des Modells, der Wunsch kam weniger von den MitarbeiterInnen. Bis dahin wurde es individuell vereinbart. Doch wir wollten ein gerechtes Modell, wo die Vereinbarungen nicht womöglich vom Verhandlungsgeschick einer Mitarbeiterin oder Gruppenleiterin abhängen.“
Basis aller Dienstverträge ist immer die Fünftagewoche. Es gibt zwar bei Bedarf und nach individueller Vereinbarung die Möglichkeit einer Viertagewoche, aber keine fixen Zusagen. „Immer wieder bewerben sich Frauen, die das gerne hätten“, erzählt Manuela Vollmann. „Aber dann wäre die Diensteinteilung für unsere Projektleite-rinnen noch komplizierter. Schließlich müssen Stundenpläne eingehalten und Ziele erfüllt werden. Da kann die Geschäftsführung nicht mit individuell vereinbarten Vier-Tage-Verträgen dagegen arbeiten.“
Dem Leitbild entsprechend haben bei ABZ Austria auch Frauen mit Kindern faire Karrierechancen: Von 18 Führungskräften sind 15 Mütter. Doch prinzipiell ist man sich des Risikos bewusst, dass bei Arbeitszeitreduzierung bzw. -flexibilisierung in der Regel die Frauen die gewonnene Zeit für die Familie verwenden, während Männer auf Weiterbildung setzen oder (noch mehr) Überstunden machen. So spricht sich Vollmann durchaus für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung aus. „Doch wenn man nicht gegensteuert, besteht die Gefahr, dass konservative Geschlechterrollen einzementiert werden. Und ganz praktisch betrachtet möchte ich verhindern, dass das Einkommen unserer Mitarbeiterinnen so weit sinkt, dass es dann später in der Pension zu Problemen kommt. Daher streben wir auch für Teilzeitkräfte 30 Wochenstunden an (der Durchschnitt liegt derzeit bei 28,2). Wir haben auch in der Beratung festgestellt, dass spätestens der Pensionskonto-Auszug für viele Frauen eine negative Überraschung war. Insofern bieten wir unseren MitarbeiterInnen je nach Projektmöglichkeiten immer wieder die Erhöhung der Wochenstunden an. Es kommt auch vor, dass wir mit Mitarbeiterinnen darüber sprechen, wie die Väter mehr einbezogen werden können. Uns ist wichtig, dafür Bewusstsein zu schaffen, dass auch Männer weniger Stunden fordern können, um ihren Anteil an der Versorgungs- und Erziehungsarbeit zu leisten.“

Massentaugliche Modelle?
Flexible Modelle, die es Beschäftigten ermöglichen, die Arbeitszeit ihren Bedürfnissen anzupassen, gibt es immer häufiger auch dort, wo nicht Bio, Sozial oder Non-Profit draufsteht. Aktuell wagen sich etwa auch Banken und internationale Konzerne an variable Arbeitszeitmodelle ohne Kernzeit heran. Fraglich ist allerdings, wie weit die Freiheit in freiwillige Mehrarbeit und noch mehr Stress ausartet. Ein von den Gewerkschaften hart erkämpftes Modell ist die Freizeitoption. Sie ist seit 2013 in einigen großen Industriezweigen wie Elektro(nik), Papier, Bergbau, Stahl und Metall möglich. Dabei kann die jährliche Ist-Erhöhung der Löhne und Gehälter statt in Geld in Freizeit abgegolten werden. Diese Freizeit kann nach den Wünschen des/der Beschäftigten konsumiert werden.
Eva Scherz, Sekretärin Geschäftsbereich Interessenvertretung der GPA-djp, fasst die bisherigen Erfahrungen zusammen: „Beschäftigte zwischen 31 und 40 wählen häufiger als andere Altersgruppen die Freizeitoption, wobei die Zeit ganz unterschiedlich verwendet wird.“ Manche gehen bei Bedarf früher, um ein Kind abzuholen, oder nützen die Freizeit für den Hausbau. Wer etwa ein FH-Studium absolviert, kann sich für die Blockveranstaltungen am Wochenende den jeweiligen Freitag freinehmen. Manche sparen länger an für sechs Wochen Urlaub am Stück. Vergleichsweise selten wird regelmäßig die wöchentliche Arbeitszeit reduziert.
„Insgesamt“, so Eva Scherz, „kommt die Freizeitoption bei den Beschäftigten gut an. Zum Teil bremsen allerdings die Firmen, vor allem wegen des bürokratischen Aufwands.“ Immerhin ist die Freizeitoption schon jetzt in mehreren Kollektivverträgen für zehn Jahre gesichert. Innerhalb eines Unternehmens ist es viermal (= vier Jahre) möglich, sich für dieses Modell zu entscheiden, davon maximal zweimal vor dem 50. Lebensjahr. Nicht aufgebrauchte Freizeitgutschriften behalten bis zur Pensionierung ihre Gültigkeit.

So macht flexibel Spaß
Zurück ins Marchfeld zum BioHof Adamah. Hinter den kühlen Lager- und Landwirtschaftshallen liegt einer der Folientunnel. Weil sich diese auf der anderen Seite der Ortschaft befinden, fahren wir ein Stück mit dem Elektroauto (auf dem Hof gibt es eine Solarstrom-Tankstelle). Im Gewächshaus ist es hell und angenehm warm, zahlreiche Pflänzchen sprießen in kleinen Anzuchttöpfen. Ganz hinten treffen wir Johannes. Er ist verantwortlich für alles leichter Verderbliche, das in den Folientunneln wächst, also Salate und Jungpflanzen. Der Kulturtechniker hat auch einen eigenen Betrieb, kommt morgens meist später zur Arbeit und bleibt gern länger: „Mein Kollege beginnt schon zeitig in der Früh. So ist immer wer da und ich kann vor Arbeitsbeginn noch die Arbeiter in meinem Betrieb einteilen. Außerdem: Je später es wird, desto ungestörter kann ich arbeiten. Die Unterbrechungen durch Kollegen oder Anrufe werden seltener.“
Auch Hansi, wie Johannes auf dem Hof genannt wird, springt hin und wieder im Verkauf ein. Das kurzzeitige Wechseln in andere Arbeitsbereiche scheint den Beschäftigten hier eher Spaß zu machen, als Stress zu bereiten. Für Johannes, der ganz in der Nähe wohnt, ist es kein Problem, auch einmal für zwei Stunden vorbeizukommen, etwa weil eine Lieferung ausnahmsweise erst spät nachts ankommt. Als wir wieder ins Auto einsteigen, kommt uns eine Gruppe FeldarbeiterInnen entgegen, die gerade ihre Mittagspause beginnen. Normalerweise dauert diese eine Stunde. Doch im Hochsommer, wenn es richtig heiß ist, gibt die Natur den Takt vor und die ArbeiterInnen machen mittags auch einmal zwei Stunden Pause.

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