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Symbolfoto: Politik der Entsolidarisierung

Politik der Entsolidarisierung

Schwerpunkt Arbeitsmarkt im Regierungsprogramm

Die Pläne der Regierung für ein "Arbeitslosengeld neu" lassen sich auf einen Punkt bringen: auf die Arbeitslosen zielen, die Beschäftigten treffen.

Die neue Bundesregierung hat sich mit dem sogenannten „Arbeitslosengeld neu“ eine tiefgreifende Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung in Österreich vorgenommen. Diese Absicht hat gleich zu Beginn der Legislaturperiode zu ersten Meinungsverschiedenheiten in der Regierung selbst und zu recht heftiger Ablehnung in der Öffentlichkeit geführt. Am Ende steht ein Appell der Regierungsspitzen, man möge sie doch jetzt einmal in Ruhe bis Ende des Jahres daran arbeiten lassen. Ob man diesem Wunsch der Regierung entsprechen sollte, ist fraglich. Denn obwohl das Regierungsübereinkommen wenig Konkretes enthält, ist doch eine grundlegende Änderung der existenziellen Absicherung von erwerbsarbeitslosen Menschen zu erwarten. Das betrifft zunächst Menschen, die ohne Erwerbsarbeit sind. Die Auswirkungen der angekündigten Einschnitte in die Arbeitslosenversicherung werden aber auch die Beschäftigten deutlich zu spüren bekommen.

Abbau des Schutzniveaus
Zunächst soll ein degressiv gestaltetes Arbeitslosengeld geschaffen werden, in das die Notstandshilfe integriert wird. Diese Festlegung durch die Regierungsspitzen am Ende ihrer Regierungsklausur am 5. Jänner 2018 beseitigt jeden Zweifel: Die Notstandshilfe soll abgeschafft und durch die Mindestsicherung ersetzt werden. Die Wirkungen eines solchen Abbaus der Schutzniveaus der Arbeitslosenversicherung lassen sich in Deutschland an den Folgen der sogenannten Hartz-IV-Reform gut ablesen. Zusammengefasst laufen sie auf eine deutlich erhöhte Armutsgefahr für Arbeitsuchende hinaus und auf die Abkoppelung der Langzeitarbeitslosen vom sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt – in Österreich immerhin rund 160.000 Betroffene und ihre Familien. Denn Mindestsicherung beziehen zu wollen bedeutet, Erspartes bis zu einem Betrag von rund 4.300 Euro aufbrauchen zu müssen. Es bedeutet den Zugriff der Bundesländer auf das mühsam erarbeitete Eigenheim. Und es bedeutet in den meisten Fällen den Zwangsverkauf des Autos.

Zu BittstellerInnen degradiert
Menschen, die entweder am Beginn ihrer Erwerbstätigkeit stehen und es – wie etwa die „Generation Praktikum“ – schwer haben, eine stabile Beschäftigung zu finden, oder unter Umständen Menschen nach jahrzehntelanger Erwerbsarbeit würden nach 20 bis 52 Wochen Arbeitslosengeldbezug Rechtsansprüche gegenüber der Sozialversicherung verlieren. Sie würden zu Bittstellerinnen und Bittstellern in einem Fürsorgesystem degradiert. Dieser Statusverlust wiederum hat erhebliche negative soziale und gesundheitliche Folgen für die Betroffenen – doch nicht nur für sie, sondern auch für die gesamte Gesellschaft. Denn steigende Armut bedeutet auch steigende Kinderarmut, die langfristig größte Nachteile für die gesamte soziale und wirtschaftliche Entwicklung in einem Land hat – von den Schäden für den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch Entfremdung und Radikalisierung gar nicht zu reden.

Gefahr von Altersarmut
Am Ende steht die große Gefahr von Altersarmut für all diejenigen, die in ihrem Erwerbsleben länger oder häufiger arbeitslos waren. Denn über die Mindestsicherung werden, im Gegensatz zur Notstandshilfe, keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung erworben. Das bedeutet für die Betroffenen zweierlei: später in Pension gehen zu können und dafür auch noch niedrigere Pensionen zu erhalten. Das arbeitsmarktpolitische Versprechen der Hartz-IV-Gesetzgebung wurde nicht eingelöst: die Beseitigung der Langzeitarbeitslosigkeit. Sie hat sich in Deutschland nur verfestigt. Rund 1,5 Millionen Arbeitsuchende haben auch im bereits längeren Wirtschaftsaufschwung in Deutschland keine Chance, aus der Grundsicherung herauszukommen. Kein Wunder, zeigen doch viele Forschungen, dass es nicht hoher existenzieller Druck ist, der Arbeitslose wieder in die Beschäftigung bringt. Vielmehr leistet dies ein ausreichendes Angebot an offenen Arbeitsplätzen, eine gute Unterstützung bei der Arbeitsuche und das Ausgleichen von Defiziten beim beruflichen Wissen und Können.
Doch damit nicht genug: Längere Versicherung in der Arbeitslosenversicherung soll zu längerem und höherem Arbeitslosengeld führen. Das bedeutet nichts anderes, als dass nicht nur die Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld von der Zahl der erworbenen Versicherungsmonate abhängt, sondern auch die Höhe des Arbeitslosengeldes. Das würde sich nur schwer mit dem Äquivalenzprinzip, einem Wesenskern der Sozialversicherung, vertragen und Menschen, die nur kurze Beschäftigung finden, systematisch benachteiligen. Das trifft neben den klassischen SaisonarbeitnehmerInnen in Bau und Tourismus mittlerweile auch LeiharbeitnehmerInnen und Beschäftigte in allen Branchen, BerufseinsteigerInnen und Menschen, die in der Erwachsenenbildung, der Wissenschaft oder im Kulturbereich arbeiten.

Härtere Sanktionen zu befürchten
Zudem sollen die Zumutbarkeitsbestimmungen vor allem beim Einkommens- und Berufsschutz verschärft werden. Schon jetzt muten die geltenden Zumutbarkeitsregeln ArbeitnehmerInnen zu, auf ein Fünftel ihres früheren Einkommens zu verzichten. Dies gilt allerdings nur, wenn sie innerhalb der ersten 100 Tage wieder einen Job finden. Gelingt ihnen das nicht, müssen sie sogar auf ein Viertel ihres früheren Einkommens verzichten. ArbeitnehmerInnen sollen also noch höhere Einkommensverluste bei einer Neubeschäftigung akzeptieren müssen, und zwar schon nach kurzer Arbeitslosigkeit. Dazu passt, dass die „Wirksamkeit“ der Sanktionen bei Verstößen erhöht werden soll. Noch härtere Sanktionen als den Verlust der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung für sechs bzw. acht Wochen sind also zu befürchten.
Neben diesen Eingriffen sollen auch noch ein paar „Kleinigkeiten“ mit erheblichen Auswirkungen für die Betroffenen eingeführt werden. Ist man arbeitslos, werden die Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld als Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung angerechnet.
In Zukunft sollen nur noch zwei Jahre berücksichtigt werden. Für einen Bauarbeiter mit drei bis vier Monaten saisonbedingter Arbeitslosigkeit würde das etwa bedeuten, dass nach drei bis vier Jahren Berufstätigkeit in dieser Branche jede Winterarbeitslosigkeit seine Pension verringert. Die zeitliche Beschränkung des geringfügigen Zuverdienstes zum Arbeitslosengeld und die Anrechnung von Krankenständen auf die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld runden das Bild eines gegen die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gerichteten Umbaus der Arbeitslosenversicherung nur noch ab.

Politik der Angst und Spaltung
Die für diese Reformen vorgebrachten Argumente – „wer mehr und länger einzahlt, soll auch mehr und länger die Leistung bekommen“ und „Durchschummeln darf es nicht mehr geben“ – haben einen klaren Zweck: Nachdem es mit der Entsolidarisierung zwischen den „Eigenen“ und den „Fremden“ bei den letzten Nationalratswahlen für die Regierungsparteien schon so gut gelaufen ist, soll weiter auf eine Politik der Angst und der gesellschaftlichen Spaltung gesetzt werden. Dieses Mal zielt die Entsolidarisierungspolitik auf die ArbeitnehmerInnen und ihre Vertretungen. Denn neben den zum Teil verheerenden Wirkungen der Hartz-IV-Reform vor mittlerweile mehr als zehn Jahren für die unmittelbar Betroffenen kann in Deutschland noch etwas anderes beobachtet werden: ein deutlicher Anstieg der Niedriglohnbeschäftigung mit so niedrigen Stundenlöhnen, dass letztlich sogar die konservativen Parteien aus wirtschaftlichen Überlegungen – es geht ja auch um den Binnenkonsum – einem gesetzlichen Mindestlohn zustimmen mussten. Dazu kommt eine Reallohnentwicklung, die hinter den erzielbaren und volkswirtschaftlich auch notwendigen Steigerungen zurückbleibt.
Ein System, das für die Betroffenen raschen und tiefen sozialen Abstieg bei Arbeitslosigkeit bereithält, diszipliniert ArbeitnehmerInnen, macht sie gefügig, lässt sie Lohn- und Arbeitsbedingungen akzeptieren, die sie sonst nicht hinnehmen würden. Das aber schwächt auch die Gewerkschaften. Mit Angst lässt sich eben trefflich Profit machen – zumindest kurzfristig. Und nichts anderes sagt ja auch die Industriellenvereinigung, vor gut einem Jahr gefragt, was sie denn von Hartz IV in Österreich halten würde: Das sei gut, denn in Deutschland seien dadurch die Lohnstückkosten gesunken.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor gernot.mitter@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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