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Symbolbild zum Schatten der Leistung Der Begriff Leistung ist heute neu definiert: Von Bildung über Beruf bis hin zu Famlie und der Selbstvermessung der eigenen Fitness.
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Die Schatten der Leistung

Schwerpunkt Arbeitszeit

Das Leistungsprinzip prägt das Selbstverständnis moderner Gesellschaften. Doch seine Glorifizierung verdeckt seine Leerstellen und Schattenseiten.

Der Ruf nach „Leistung“ ist heute Standard im politischen Diskurs. Er wurde und wird von unter-schiedlichen politischen Lagern gleichermaßen verwendet, um die eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit zu unterstreichen. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass bei näherer Betrachtung ein klares Verständnis darüber, was als „Leistung“ zu verstehen ist, immer schon umstritten war und es zunehmend wird.

Historische Ursprünge

Als Grundwert des sozialen Zusammenlebens ist „Leistungsgerechtigkeit“ – also der Anspruch, dass individuelle Anstrengungen und Tätigkeiten entsprechend honoriert werden sollten – ein Wert, der sich historisch schon früh nachweisen lässt: von Chinas Kaiserreich über die griechische Antike bis hin zur protestantischen Ethik der Neuzeit. Zu einem gesamtgesellschaftlichen Ordnungsprinzip wurde das Leistungsprinzip in Europa jedoch erst infolge politischer Kämpfe um gesellschaftliche Verteilung und Klassenhierarchien seit dem 18. Jahrhundert. Die soziale Stellung einer Person überhaupt, ihr Besitz, ihre Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten sollten nicht mehr vom ständischen Prinzip der familiären Herkunft, vom Geschlecht oder vom Alter bestimmt werden, sondern ausschließlich Ausdruck eigener Anstrengungen sein.
Auf diese Weise diente der Ruf nach Leistungsgerechtigkeit der Infragestellung der bestehenden gesellschaftlichen Hierarchien. War es in Europa zunächst das Bürgertum, das unter dem Leistungsbanner gegen die Privilegien der Aristokratie auftrat, so richtete später die Arbeiterschaft ebendiese Forderung nach fairer Entlohnung an das Besitzbürgertum und die Frauenbewegung in Richtung der patriarchal dominierten Herrschaftseliten. Gestritten wurde nunmehr also vor allem darüber, was als legitime Leistung zu honorieren sei – das Leistungsprinzip selbst blieb jedoch weitgehend unbestritten.

Zwar setzte im 20. Jahrhundert eine kritischere Auseinandersetzung mit den zahlreichen Leerstellen des Leistungsprinzips ein. Seit geraumer Zeit erlebt es allerdings eine Renaissance. Heute begegnet es einem als die Erzählung vom persönlichen Erfolg für jede/n, die/der sich nur ordentlich anstrengt. Damit wird es illusionär und unverzichtbar zugleich. Denn keine Gesellschaft kann es sich dauerhaft leisten, Leistung unbelohnt zu lassen. Zugleich hat es destruktive Folgen, wenn keine transparenten und demokratischen Leistungskriterien für Tätigkeiten durchsetzbar sind und allein der Markterfolg den Wert einer Leistung diktiert.
Der Leistungsanspruch durchdringt heute mehr Lebensbereiche denn je: Bildungsbiografien, Berufsverläufe, Privataktivitäten im Familien- und Freundeskreis bis hin zur Selbstvermessung eigener Fitness, Ernährung etc. im Sinne der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit. Das anschaulichste Feld für den Wandel von Leistungsverständnissen stellt jedoch sicher die Veränderung der Arbeitswelt dar, wo in den letzten Jahrzehnten Durchschnittsarbeit deutlich abgewertet wurde: Die tagtägliche Arbeit in Fabrik, Verwaltung oder Supermarkt, für die niedrige oder mittlere Qualifikationen eingesetzt wurden, erfährt immer weniger Anerkennung. Wertschätzung ist tendenziell nur noch für besondere Anstrengungen, für herausragende Leistungen zu bekommen. Worauf es ankommt, ist immer weniger der Einsatz der Arbeitenden und viel mehr das Ergebnis, der Erfolg am Markt. Wenn dort die Gewinner alle Belohnungen einstreifen, während die übrigen leer ausgehen, dann wird das Leistungsprinzip sukzessive untergraben. Ein „Hat sich sehr bemüht“ im Dienstzeugnis ist damit sogar ein vernichtendes Urteil.

Reichtum = Leistung?

Zwar fordern auch Slogans gegen Besteuerung und Umverteilung: „Leistung muss sich wieder lohnen!“ Gemeint ist aber nicht die Belohnung aufwandsorientierter Leistung im Sinne von Anstrengungen und Beiträgen zur Gemeinschaft. Vielmehr geht man von der Annahme aus, dass hohes Einkommen und Reichtum „Kennzeichen“ für Leistungsträger seien. Wer viel besitzt, muss offensichtlich viel geleistet haben, so die fatale Logik des Zirkelschlusses. Trotz dieser Veränderungen in der Definition „wertvoller“ Leistung halten aber sehr viele Beschäftigte hartnäckig an einem aufwandsbezogenen Leistungsbegriff fest und wollen ihre Kompetenzen, ihre Anstrengungen und Opfer angemessen belohnt sehen. Die Abwertung ihrer Bemühungen und ihrer alltäglichen Durchschnittsleistung erfahren sie als Geringschätzung und Missachtung. Eine Quelle für Unmut, der sich oft bei ganz anderen Themen – etwa gegenüber sozial Benachteiligten oder Menschen auf der Flucht – entlädt.

Beispiel Postliberalisierung

Ein Forschungsprojekt von FORBA zeigt, wie etwa die Liberalisierung der Postdienstleistung und die Privatisierung der Organisationen neu definiert haben, was als Leistung zu verstehen ist. Während es dort für die Beschäftigten früher in erster Linie um das verlässliche Befolgen von Regeln und keineswegs um das Verkaufen ging, hat sich die Leistungsanforderung inzwischen ins Gegenteil verkehrt. Entsprechend der Kommerzialisierung der Dienstleistung und der Profitorientierung börsennotierter Unternehmen steht die Anforderung, „aktiv“ zu verkaufen, nun im Vordergrund. Wenn jemand wegen einer Briefmarke kommt, soll er oder sie möglichst auch eine Schlager-CD kaufen, so die Vorgabe. Viele Postbedienstete äußern jedoch ein anderes Verständnis von Dienstleistung und sehen das aktive Verkaufen nicht als Teil der Kundenorientierung, sondern im Gegenteil als etwas, das die Beziehung zu den Kunden und Kundinnen zerstört. Auch in der Postzustellung verdrängen Beschleunigung, Rationalisierung und Kommerzialisierung die gemeinwohlorientierte Versorgung der BürgerInnen. Die arbeitsintensive Dienstleistung muss nun innerhalb kürzerer Zeitvorgaben erledigt werden und auf andere Aspekte der KundInnenbeziehung soll verzichtet werden. Aufgrund der früheren Ausrichtung des Dienstes am Gemeinwohl gehörten kleine Hilfestellungen für die Bevölkerung zum Leistungsangebot dazu. Städtische BriefträgerInnen waren bisweilen angewiesen worden, schwere Einkaufstaschen alter Frauen unterwegs aufs Moped zu laden und nach Hause zu bringen. Auch in Berggebieten wurde BewohnerInnen abgeschiedener Bauernhöfe so manche Zusatzdienstleistung angeboten. Diese Leistungen fallen dem neuen, durchrationalisierten System nun zum Opfer.
Teil dessen ist auch, dass Leistung verstärkt quantifiziert wird, wenn etwa die Beschäftigten an Benchmarks bemessen werden. Im Verkauf vergleicht das Controlling die Umsätze zwischen den Filialen oder Poststellen, in der Zustellung treibt man die Zeitvorgaben auf die Spitze und ergänzt sie durch computergestützte Überwachung. Dadurch ist der früher relativ große Spielraum in der Gestaltung des Arbeitstages für die ZustellerInnen weggefallen. Die mit sozialer Wertschätzung verbundene Tätigkeit wurde auf den physischen Teil der Zustellung von Poststücken in einer vorgegebenen Zeit reduziert.

Die Verschiebung im Leistungsverständnis betrifft also zunehmend auch den Faktor Arbeitszeit. Eine bestimmte Zeitspanne, z. B. acht Stunden am Tag, dem Arbeitgeber in dem Sinne zu über-lassen, dass man auf Selbstbestimmung verzichtet und sich dem Weisungsrecht anderer unter-wirft, wird immer weniger als Aufwand, Beitrag oder Einsatz gesehen. Was zählt, ist das vom Unternehmen in bare Münze umsetzbare Ergebnis. Entsprechende Arbeitszeitmodelle wie All-inclusive-Verträge oder „Vertrauensarbeitszeit“ haben starke Verbreitung gefunden. Auch die Scheinselbstständigkeit ermöglicht es, den zeitlichen Aufwand der Arbeitenden von der Bezahlung für die Arbeit zu entkoppeln.

Untaugliches Prinzip

Die Zeit bleibt aber ein zentrales Maß für die Arbeit, solange wir es in den Arbeitsbeziehungen mit kapitalistischen Lohnarbeitsverhältnissen zu tun haben, in denen die Arbeitenden ihre Arbeitskraft gegen ein Entgelt für eine bestimmte Zeit anderen überlassen. Ein Erwerbssystem, das diese Entkoppelung vorantreibt und ein erfolgsorientiertes gegenüber einem aufwandsorientierten Belohnungssystem betont, dient letztlich nur den Bedürfnissen weniger auf Kosten vieler – und macht so das Leistungsprinzip als einendes Gesellschaftsprinzip untauglich.

Linktipp:
Oliver Gruber „Leistung – Gestaltungsprinzip gesellschaftlicher und politischer Inklusion?“:
tinyurl.com/yd5j7k3c

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autoren oliver.gruber@akwien.at und joerg.flecker@univie.ac.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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