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Martin Müller, ÖGB-Experte für Fragen rund um den Kollektivvertrag Martin Müller, ÖGB-Experte für Fragen rund um den Kollektivvertrag

Fragen an den Experten

Schwerpunkt Kollektivverträge

Was steht im KV? Woher weiß ich, welcher KV für mich gilt? ÖGB-Experte Martin Müller gibt Antworten auf wichtige Fragen rund um das Thema Kollektivvertrag.

1. Was steht eigentlich in einem Kollektivvertrag?

Ein Kollektivvertrag (KV) ist eine Vereinbarung, die die Gewerkschaft für alle ArbeitnehmerInnen einer bestimmten Branche mit der Arbeitgeberseite aushandelt, meist ist dies die Wirtschaftskammer. Die österreichischen Gewerkschaften schließen jährlich über 450 Kollektivverträge ab.
Kollektivverträge gelten in der Regel für eine ganze Wirtschaftsbranche. Ein Kollektivvertrag schafft gleiche Mindeststandards bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen für alle ArbeitnehmerInnen einer Branche. Er verhindert, dass die ArbeitnehmerInnen gegeneinander ausgespielt werden können. Neben dem größeren Machtgleichgewicht sorgt er für gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen einer Branche. Im Kollektivvertrag sind alle wichtigen wechselseitigen Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis geregelt. Dazu gehören:

  • Die wöchentliche und tägliche Arbeitszeit in Ihrer Branche.
  • Überstundenregelungen und deren Abgeltung.
  • Bezahlung von Zulagen (z. B. Schmutzzulagen, Zulagen für Bildschirmarbeit, Erschwerniszulagen).
  • Einstufung in ein Gehaltsschema, daraus resultierende Mindestentlohnung und z. B. Vorrückungen.
  • Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

2. Woher wissen Beschäftigte, welcher Kollektivvertrag für sie gilt?

Welcher Kollektivvertrag gilt, muss im Dienstzettel oder Dienstvertrag angegeben sein. Der gültige Kollektivvertrag muss außerdem für alle Beschäftigten einsehbar sein, online etwa im Intranet oder in einem für alle zugänglichen Raum im Betrieb. Darauf ist in einer Betriebskundmachung hinzuweisen. Im Netz kann man alle Kollektivverträge unter www.kollektivvertrag.at einsehen. Wenn ein/e ArbeitnehmerIn trotzdem unsicher ist, welcher Kollektivvertrag für sie oder ihn gilt, sollte er oder sie sich am besten an die zuständige Gewerkschaft wenden, auch die AK bietet Beratungen zu diesem Thema an. Prinzipiell richtet sich das nach der Gewerbeberechtigung des Arbeitgebers oder dessen Mitgliedschaft in einer freiwilligen Vereinigung. In der Regel gilt für alle Beschäftigten eines Betriebs derselbe KV.

3. Gelten Kollektivverträge auch für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder?

Ja. Denn andernfalls wären kollektivvertraglich ungeschützte, „unorganisierte“ Arbeitskräfte billiger und damit für Unternehmen die attraktivere Möglichkeit. Das Risiko für Arbeitslosigkeit wäre damit für Gewerkschaftsmitglieder größer als für Unorganisierte. Außerdem gilt in der gewerkschaftlichen Sozialpolitik allgemein der Grundsatz, dass soziale Errungenschaften nur dann nachhaltig sind, wenn diese allen Beschäftigten zugutekommen.
Nichtsdestoweniger macht es Sinn, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein, denn je mehr ArbeitnehmerInnen dahinterstehen, desto stärker kann sie auch bei den Verhandlungen auftreten und desto besser auch der KV – nur einer von vielen Vorteilen, die eine Gewerkschaftsmitgliedschaft hat.
Kollektivverträge haben neben ihrer Schutzfunktion für die Beschäftigten aber auch eine Ordnungsfunktion innerhalb der jeweiligen Wirtschaftsgruppe. Denn Unternehmen, die sich nicht an die kollektivvertraglich vereinbarten Löhne und Gehälter halten müssten, könnten ihre Waren und Dienstleistungen billiger anbieten. Durch die Pflichtmitgliedschaft bei der jeweiligen Interessenvertretung sind die in der Wirtschaftskammer organisierten Unternehmen aber automatisch an jeden von der Wirtschaftskammer abgeschlossenen Kollektivvertrag gebunden. Es ist somit auch im Interesse der Arbeitgeber, dass sich alle an die gleichen Regeln halten.

4. Stimmt es, dass der KV mehr zählt als ein Arbeitsvertrag?

Grundsätzlich darf eine Regelung, die auf Ebenen unterhalb des Gesetzes vereinbart wurde, nicht schlechter sein als eine gesetzliche Regelung. Unterhalb des Gesetzes werden drei Ebenen unterschieden: Auf der höchsten Ebene steht der Kollektivvertrag, auf der Ebene darunter ist die Betriebsvereinbarung (BV) angesiedelt, auf der „untersten“ Ebene der Einzelarbeitsvertrag. Auch hier gilt, dass auf einer jeweils niedrigeren Ebene nichts vereinbart werden darf, das die Beschäftigten schlechterstellen würde, als dies in der darüber liegenden Ebene der Fall ist.
Sollte eine BV oder ein Arbeitsvertrag dennoch eine schlechtere Regelung enthalten sein, so gilt diese nicht. Sehr wohl aber dürfen auf niedrigeren Ebenen Vereinbarungen getroffen werden, die für die ArbeitnehmerInnen günstiger sind, als dies in der darüber liegenden Ebene der Fall ist (Günstigkeitsprinzip, siehe auch „Gut zu wissen“). Besser ist sozusagen Trumpf: Wenn der Arbeitsvertrag oder die Betriebsvereinbarung eine bessere Regelung enthält als der KV, so gilt die bessere Regelung. Ist jedoch eine Schlechterstellung für die Beschäftigten vorgesehen, so zählt der KV in der Tat mehr als der Arbeitsvertrag oder die Betriebsvereinbarung.

5. Was, wenn ein/e ArbeitnehmerIn weniger bekommt, als ihm/ihr laut KV zustehen würde, oder er oder sie dem falschen KV zugeordnet ist?
 
In Österreich gibt es klare Spielregeln für die Bezahlung. Kollektivverträge regeln die Mindestlöhne und Mindestgrundgehälter in fast allen Branchen. Je nach Tätigkeit, Qualifikation und Dauer des Dienstverhältnisses gibt es unterschiedliche Einstufungen. Bei der Einstufung passieren allerdings immer wieder Fehler. Oft werden Vordienstzeiten gar nicht oder falsch angerechnet oder die Einstufung entspricht nicht der tatsächlichen Tätigkeit. Vor allem Frauen sind häufig von falschen Einstufungen betroffen. Unter anderem deshalb verdienen Frauen im Durchschnitt ein Drittel weniger als Männer.
Wer das Gefühl hat, dass bei ihm oder ihr ein solcher Fall vorliegen könnte, sollte sich an die jeweils zuständige Gewerkschaft wenden, um sich beraten zu lassen (Liste der sieben Gewerkschaften: tinyurl.com/z5clzwt).

6. Wer darf einen Kollektivvertrag abschließen?

Kollektivverträge können von gesetzlichen Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der ArbeitnehmerInnen (Arbeiterkammer, Kammer der gewerblichen Wirtschaft etc.) sowie von Berufsvereinigungen abgeschlossen werden, die auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhen wie etwa der ÖGB oder die Industriellenvereinigung.
Auf Seite der Arbeitgeber werden KV-Verhandlungen zum größten Teil von der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und deren Untergliederungen geführt. Auf der ArbeitnehmerInnenseite wiederum verhandeln praktisch ausschließlich der ÖGB und die Gewerkschaften. Die AK ist zwar seit ihrer Errichtung 1920 kollektivvertragsfähig, es wurde aber von Anfang an vereinbart, dass sie diese Möglichkeit nur auf Wunsch der Gewerkschaftsbewegung wahrnimmt und Lohnverhandlungen allein von den Gewerkschaften geführt werden.

7. Wie kommen Kollektivvertragsforderungen zustande?

Vor allem durch die wirtschaftliche Entwicklung in einer Branche wie auch durch Neuerungen im arbeitsrechtlichen Bereich müssen Kollektivverträge immer wieder geändert werden. Vor Beginn von KV-Verhandlungen werden die Betriebsräte in den Betrieben befragt, welche Änderungswünsche es gibt. Darüber hinaus wird in Form von Branchenanalysen die wirtschaftliche Lage der Branche und der gesamten Wirtschaft beurteilt.
Diese Analysen bilden gemeinsam mit der prognostizierten Inflationsrate eine wichtige Grundlage für die Forderung nach Gehaltserhöhungen. In den zuständigen Gremien der Gewerkschaft, die sich nach bestimmten Kriterien aus Betriebsratsmitgliedern der jeweiligen Branche zusammensetzen, werden diese Wünsche und Daten beurteilt. Ergebnis dieses Prozesses ist ein entsprechendes Forderungsprogramm.

8. Sind gesetzliche Interessenvertretungen gegenüber den Körperschaften mit freiwilliger Mitgliedschaft im Vorteil?

Während Berufsvereinigungen mit freiwilliger Mitgliedschaft ihre Kollektivvertragsfähigkeit erst beim Bundeseinigungsamt (früher: Obereinigungsamt) beantragen müssen, sind gesetzliche Interessenvertretungen per Gesetz kollektivvertragsfähig. Doch andererseits verdrängt ein KV mit einer kollektivvertragsfähigen, auf freiwilliger Mit­gliedschaft beruhenden Berufsvereinigung einen eventuell bereits bestehenden KV mit einer gesetzlichen Vertretung.

Linktipp:
Skripten des VÖGB
www.voegb.at/cms/S08/S08_4.1

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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