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Symbolbild zum Berufsbild Altenpflege

Dauereinsatz für wenig Geld

Schwerpunkt Pflege und Gesundheit

70.000 Pflegekräfte helfen in heimischen Haushalten bei der Altenpflege. Sie kämpfen mit Niedriglöhnen, Scheinselbstständigkeit und dubiosen Vermittlerfirmen.

Dana S.* führt zwei Leben. Zwei Wochen im Monat arbeitet sie in der Nähe von Graz, zwei Wochen verbringt sie zu Hause in einem Dorf in der Südslowakei. Über 600 Kilometer trennen beide Orte. Der Abschied von Sohn und Mann in der Slowakei fällt der Pflegerin jedes Mal schwer. Denn dann heißt es wieder Tag und Nacht für einen betagten Pensionisten da zu sein, waschen, putzen, kochen, einkaufen, pflegen. Ein Fulltime-Job, auch an Wochenenden und Feiertagen – und das für weniger als 1.000 Euro im Monat.

Helfende Hände aus Osteuropa
Knapp 70.000 selbstständige PersonenbetreuerInnen sind in Österreich tätig. Die meisten kommen aus der Slowakei, gefolgt von Rumänien, Ungarn, Polen und Bulgarien. Nur 2,4 Prozent der Gewerbetreibenden sind aus Österreich, der Männeranteil liegt bei fünf Prozent.
Ohne helfende Hände aus Osteuropa würde das Pflegesystem hierzulande nicht funktionieren. In vielen Familien können Angehörige nur dank ausländischer HelferInnen ihren Lebensabend zu Hause verbringen. Wer persönlich erlebt hat, was Betreuung und Fürsorge für ein älteres Familienmitglied bedeuten, für den steht die große Relevanz des Themas außer Frage. Aber auch gesamtgesellschaftlich wird das Thema Pflege zunehmend wichtiger. Nachdem namhafte Politiker bekannt gaben, dass ihre nächsten Angehörigen von Pflegerinnen aus Polen und Rumänien betreut werden, wurden neue gesetzliche Regelungen in die Wege geleitet. In Österreich sind die meisten Pflegekräfte in der 24-Stunden-Betreuung selbstständig und müssen das Gewerbe als Personenbetreuung führen. Dafür sind eine Gewerbeanmeldung und eine Anmeldung bei der Sozialversicherungsanstalt notwendig.

Rechtliche Grauzone
Doch in der Praxis bewegen sich viele Arbeitsverhältnisse mit Rund-um-die-Uhr-Bereitschaftsdienst in der rechtlichen Grauzone. Laut Gesetz liegt eine Scheinselbstständigkeit dann vor, wenn eine „erwerbstätige Person als selbstständige/r UnternehmerIn auftritt, obwohl sie von der Art ihrer Tätigkeit her ArbeitnehmerIn ist. Es wird ein Arbeitsverhältnis verschleiert und als Tätigkeit selbstständiger AuftragnehmerInnen deklariert, um Abgaben, Restriktionen und Formalien zu vermeiden, die das Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht und Steuerrecht mit sich bringen.“ Es kommt in der Praxis oft vor, dass Agenturen Beiträge für vermittelte Pflegekräfte nicht überweisen. Dadurch fallen für die Pflegekraft Schulden bei der SVA an. „Pflegende Hände“, „Gute Wesen“, „Pflegekraftbörse“ – mit diesen wohlklingenden Namen werben Vermittlungsagenturen im Internet um KundInnen und Personal. Doch nicht alle Internetplattformen, die PflegerInnen vermitteln, sind seriös. Das Geschäft mit der Rundumbetreuung geriet vor allem wegen dubiosen Vermittlungsfirmen, die ohne Bewilligung arbeiten und Hungerlöhne ohne jegliche Absicherung zahlen, in die Kritik. Trotz der selbstständigen Erwerbstätigkeit werden die Tagessätze für eine 24-Stunden-Betreuung meist von den Agenturen festgelegt. PflegerInnen fallen so um eine freie Gehaltsverhandlung. Eva H.*, die seit vielen Jahren als Betreuerin in Wien arbeitet, hat schon vieles erlebt: „Es gibt schwarze Schafe unter den Agenturen, die nicht nur eine einmalige Vermittlungsgebühr einbehalten, sondern pro Jahr noch mal 500 bis 1.000 Euro pro PflegerIn abkassieren.“ „Wir brauchen eine differenzierte Sicht auf diese Zusammenhänge und müssen die rechtlichen Voraussetzungen klären. Bislang setzen wir mit der Beschäftigung osteuropäischer Pflegekräfte die Tradition unsichtbarer Frauenarbeit fort“, gibt der deutsche Rechtswissenschafter und Sozialexperte Thomas Klie zu bedenken. Die Situation in Österreich, Deutschland und der Schweiz ist – abgesehen von Details bei länderspezifischen rechtlichen Vorgaben – ähnlich. „Insgesamt lässt sich feststellen, dass es eine geduldete Grauzone gibt, in der Ausbeutungsverhältnisse entstehen und sich niemand um Arbeitsschutz und Arbeitszeiten schert. Weil alle ein Interesse daran haben: Krankenkassen und Privathaushalte wollen möglichst billig davonkommen, ausländische Pflegekräfte wollen aus ihrer finanziellen Not heraus schnell zu Geld kommen“, analysiert Klie.

Anstieg an Pflegebedürftigen
Auf der Online-Plattform der österreichischen Wirtschaftskammer gibt es einen mehrsprachigen Ratgeber. Für selbstständige UnternehmerInnen ist in den meisten Fällen eine Gewerbeanmeldung verpflichtend. Als mitgliederstärkste Berufsgruppe erhöhen PflegerInnen nebenbei bemerkt die jährliche Gründerbilanz maßgeblich, und sie bilden eine große Gruppe innerhalb der Ein-Personen-Unternehmen. Sie zahlen Abgaben und sind für das Pflegesystem längst unverzichtbar. Das Problem bisher war, dass die Wirtschaftskammer PflegerInnen den Gewerblichen DienstleisterInnen zuordnete und somit in erster Linie die Interessen der Agenturen vertrat, die BetreuerInnen an Privathaushalte vermitteln.
Auf Nachfrage bei der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) heißt es, dass es immer wieder Fälle gibt, wo das Vorliegen einer Unselbstständigkeit auf Antrag der Betroffenen überprüft wird: „Die 24-Stunden-Pflege kann im Sinne des Hausbetreuungsgesetzes auf selbstständige oder unselbstständige Weise erfolgen. Dazu liegt eine Richtlinie des Sozialministeriums vor“, erklärt eine WGKK-Sprecherin. Nicht erst wenn die Babyboom-Generation in ein pflegebedürftiges Alter kommt, werden weit mehr Pflegeplätze benötigt. Laut ExpertInnen ist bereits jetzt das Pflegesystem stärker als bisher belastet. Das Hilfswerk warnte erst kürzlich vor einem akuten Anstieg an Pflegebedürftigen: Allein in Österreich wird es in den nächsten Jahren laut Schätzungen rund 10.000 Pflegebedürftige mehr pro Jahr geben. Dafür werden zusätzliche 2.000 Pflege- und Betreuungskräfte sowie 1.500 Heimplätze benötigt. Die Kosten dafür belaufen sich auf 150 Millionen Euro.
Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, müssten Pflegeberufe attraktiver gestaltet werden, vor allem durch eine bessere Bezahlung, aber auch eine reformierte Ausbildung. Franz Kolland, Professor für Soziologie an der Universität Wien, hat 2015 eine Studie zum Thema „24-Stunden-Betreuung in Niederösterreich“ geleitet, die sich mit der aktuellen Situation im Pflegebereich und den Arbeitsbedingungen der BetreuerInnen beschäftigt. Allen voran wird von den befragten ExpertInnen und Angehörigen eine bessere Entlohnung gefordert. Bei Umfragen sprechen sich 98 Prozent der Befragten dafür aus, dass Pflegende mehr Anerkennung für ihre Arbeit erhalten sollten. Der Pflegeberuf ist großteils weiblich. In dieser Sparte wird die Einkommenskluft zwischen Männern und Frauen besonders deutlich. Weiters wird eine bessere Ausbildung für den Pflegedienst gefordert. Die Arbeiterkammer etwa bietet Fachberatungen für Pflegeberufe an. Besonders die Pflege von Menschen mit Demenz erfordert eine besondere Professionalität und Spezialwissen. Es gibt Pläne, die Ausbildung der gehobenen Pflege künftig an Fachhochschulen und Universitäten anzubieten. Durch die angestrebte Akademisierung würde das Niveau gehoben, was allen Beteiligten zugutekommen würde.

Dubiose Rolle
Der Forschungsbericht der Universität Wien bestätigt ebenfalls die bereits angesprochene „dubiose Rolle der Vermittlungsagenturen“ und ortet dringenden Handlungsbedarf. Ein erster Schritt dazu wurde im Rahmen der Reform der 24-Stunden-Betreuung gemacht, welche die gewerberechtliche Trennung von Vermittlerfirmen und BetreuerInnen festgeschrieben hat. Doch weitere Qualitätskriterien sind laut dem Soziologen und Gerontologen Kolland für eine qualitätsvolle 24-Stunden-Betreuung dringend notwendig. Dazu zählt beispielsweise die Einhaltung allgemeiner gesetzlicher Voraussetzungen für die Vermittlung von 24-Stunden-Betreuungsdiensten, die Kontrolle der Gewerbeanmeldung, ebenso die Überprüfung der Qualifikationen und Ausbildungen samt Zeugnissen und Zertifikaten der BetreuerInnen. Nicht zuletzt ist die Sprache zentral, immerhin sprechen in Österreich viele Dialekt, was eine große Herausforderung bei der Arbeit darstellt. Geschichte und Anekdoten über Sprachhürden und Missverständnisse kursieren unter Pflegenden und Betreuten. Dann wird auch einmal gelacht, erzählt Dana S. Denn viele PatientInnen haben ihr gezeigt, dass man trotz allem Humor und Vertrauen in das Leben nie verlieren soll. So zählen zu den positiven Seiten ihres Jobs für Dana vor allem die Begegnungen mit Menschen und das Gefühl, eine sinnvolle Tätigkeit in einer krisenfesten Branche auszuüben.

* Name von der Redaktion geändert

Weitere Infos finden Sie unter:
www.personenbetreuung.wkoratgeber.at
 
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irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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