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Das Prekariat zu Hause

Schwerpunkt Pflege und Gesundheit

Die 24-Stunden-Pflege wird in Zukunft wohl an Bedeutung gewinnen. Derzeit ist sie ein problematisches Berufsbild.

Wenn sie es sich aussuchen hätte können, hätte Ofelia K.* einen anderen Beruf ergriffen. Am liebsten hätte sie studiert, bloß ihr Vater sah nicht ein, wozu eine Frau studieren sollte. Hochzeit und Kind folgten auf die Volljährigkeit. Heute ist sie Alleinerzieherin und tut alles, um wenigstens ihrem Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen. Ihre fröhliche Art hilft ihr dabei, die oft schwierigen Situationen in der Arbeit zu meistern.
Ofelia K. weiß viel von ihren Kolleginnen zu erzählen, denn sie ist gut mit anderen Pflegerinnen vernetzt. Eine Kollegin etwa betreut einen Mann, der in einem abgelegenen Ort in einem noch abgelegeneren Haus lebt. Zur Isolation kommen immer wieder schwierige Situationen mit der Familie. Was Ofelia K. von ihren eigenen Berufserfahrungen sowie aus den Erzählungen ihrer Kolleginnen zu berichten weiß, ähnelt dem, was auch in der Studie „Gute Pflege aus Sicht der Beschäftigten“ nachzulesen ist. Darin wird die „24-Stunden-Pflege“ als „grauer Bereich“ bezeichnet – und ein solcher ist sie in der Tat.

Das vielzitierte Mädchen für alles: Als solches erleben sich die Pflegerinnen, die für die Studie befragt wurden. Damit einher geht oftmals ein Mangel an Respekt von Seiten der Angehörigen, die „sie in erster Linie als Reinigungskräfte und Hausbetreuer“ ansehen. Dabei umfasst ihre Tätigkeit so viel mehr: Sie sind oftmals die einzigen Ansprechpartnerinnen der zu Pflegenden, Animateurinnen, Gesundheitsberaterinnen, und sie erfüllen bisweilen auch psychotherapeutische Funktionen für die zu Pflegenden oder die Angehörigen. Die Freizeit kommt oftmals zu kurz, Pausen können viele nicht nehmen. „Vor allem bei Klientinnen mit nächtlichem Betreuungsbedarf erfüllt der Begriff 24-Stunden-Pflege seine Bedeutung im wahrsten Sinne des Wortes“, heißt es in der Studie. Meist haben sie noch dazu eine weite Anfahrt – und auch diese geht oft auf Kosten der Freizeit.

Besonders problematisch erscheint, dass sich ausgerechnet Menschen, die einer so herausfordernden Tätigkeit wie der Betreuung von Pflegebedürftigen nachgehen, kaum formal weiterbilden. Ein Hintergrund dafür dürften die engen Zeit- und Geldressourcen sein. „Alle interviewten Personenbetreuerinnen gaben an, dass sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten hauptsächlich durch Erfahrung in der täglichen Praxis weiterentwickeln“, halten die StudienautorInnen fest. Es liege in der Natur der 24-Stunden-Betreuung, dass man „ins kalte Wasser“ geworfen werde, so die Pflegerinnen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie sich gar nicht weiterbilden. Vielmehr hängt es von der Eigeninitiative der Person selbst ab.

Das Fazit der Studie: Die 24-Stunden-Pflege bleibt „in ihrer jetzigen und trotz der bestehenden rechtlichen Regelungen in Österreich ein prekäres Konstrukt in Bezug auf Arbeitsbedingungen und die Qualität der Pflege“. Gerade in der Pflege, könnte man annehmen, sollte all dies eine wichtige Rolle spielen, schließlich geht es um nicht mehr und nicht weniger als das Wohlbefinden unserer betagten Familienangehörigen. Doch genau hier liegt wohl die zentrale offene Frage: Wie sollen sich die Betroffenen die Pflege zu Hause denn noch leisten können, wenn man am bestehenden System etwas verändert?
Die Studie hält fest: „Hinzu kommt, dass der ‚glückliche Fund‘ der 24-Stunden-Betreuung auf der Voraussetzung beruht, dass Arbeitslosigkeit und die Differenz zu in relativ nahe gelegenen Ländern Zentral- und Osteuropas erzielbaren Löhnen und Gehältern ein großes Reservoir an potentiellen Personenbetreuerinnen mit der Bereitschaft zur Migration geschaffen haben.“ Dass eben diese Lage ausgenutzt wird, stößt den Pflegerinnen sauer auf.
Für Pflegerin Ofelia K. beginnt demnächst der langersehnte Urlaub. Sie freut sich schon darauf, ihren Sohn wieder zu sehen. Man könnte nun nicht sagen, dass sie ihren Beruf nicht mag, ganz im Gegenteil. Sie hat ein Händchen für den Umgang mit älteren Menschen. Dennoch hätte sie gerne einen anderen Job, der weniger belastend ist und ihr mehr Geld einbringt.

* Name von der Redaktion geändert

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