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Symbolbild zu: Der Mythos der Unabhängigkeit Sie behaupten gerne, autonom und unabhängig zu agieren. Doch sind neoliberale Thinktanks wie die Agenda Austria oder das Hayek-Institut gut in internationalen Netzwerken verankert.

Der Mythos der Unabhängigkeit

Schwerpunkt Neoliberalismus

Neoliberale Thinktanks sind mit finanzkräftigen Privaten und Wirtschaftsverbänden bestens vernetzt. Ihr Einfluss ist groß, wie die Debatte über die Pensionen zeigt.

In den letzten Jahren traten vermehrt neoliberale Thinktanks als Akteure im gesellschaftspolitischen Diskurs in Erscheinung. Wiewohl immer wieder betont wird, dass sie autonom und politisch unabhängig agieren, sind sie in bestehenden Netzwerken finanzkräftiger privatwirtschaftlicher AkteurInnen und wirtschaftlicher Interessenvertretungen bestens verankert. Sie sind international und medial gut vernetzt und beeinflussen die österreichische sozialpolitische Diskussion immer mehr. Neoliberale Thinktanks argumentieren dabei auf der Basis einer dichotomen Gegenüberstellung: hier ein „ineffizienter, bürokratischer, teurer Staat“, dort ein „effizienter, selbstregulierender, freier Markt“.

Das Beispiel Agenda Austria
Die Thinktank-Forschung unterscheidet drei Kategorien: Neben „akademischen Thinktanks“, die eng mit Wissenschaft und Unis zusammenarbeiten, sind nicht- oder semi-staatliche in der politik-beratenden Auftragsforschung tätig. „Advokatorische“ Thinktanks hingegen weisen eine klar zuordenbare ideologische Ausrichtung auf, auch wenn im Außenauftritt die „Unabhängigkeit der Expertise“ betont wird. Sie versuchen ihre weltanschaulichen Prinzipien medial und politisch zu vermarkten. Dieser Kategorie kann etwa die 2013 auf Initiative der Industriellenvereinigung gegründete Agenda Austria zugeordnet werden. Sie ist als moderner neoliberaler Thinktank medial bestens vernetzt und darauf fokussiert, marktliberale Argumentationen zu verbreiten. Der Förderkreis setzt sich aus finanzkräftigen Finanz-, Industrie- und Handelsunternehmen zusammen, weshalb die Agenda Austria im Zuge ihrer Gründung auch als „Denkfabrik der Millionäre“ bezeichnet wurde. Dabei orientiert sich die Agenda Austria an der etwa 15 Jahre älteren Avenir Suisse, zu der enge personelle Verbindungen bestehen und deren neoliberale Programmatik man „austrifizieren“ möchte.

Enge Verflechtung
Durch eine Netzwerkanalyse lässt sich die enge institutionelle und personelle Verflechtung der in Österreich agierenden neoliberalen Thinktanks gut veranschaulichen. Dabei zeigt sich zunächst eine breite internationale Vernetzung des Hayek-Instituts mit zentralen Knoten des globalen neoliberalen Netzwerks. Im Zentrum steht hier die 1947 in der Schweiz von Friedrich Hayek gegründete Mont Pèlerin Society (MPS), die bis heute gleichsam als „neoliberale Internationale“ fungiert und eine langfristige Strategie zur Durchsetzung neoliberaler Ideen verfolgt.
Über eine Reihe von verbindenden Personen und Institutionen (sogenannten „interlocking directorates“) bestehen aber auch enge Vernetzungen zwischen dem Hayek-Institut und der Agenda Austria. Im Vergleich zum Hayek-Institut sind mit der Agenda Austria relativ mehr AkteurInnen aus der Wissenschaft verbunden, trotzdem sind hier ebenso enge Verbindungen zu Wirtschaftsverbänden bzw. der Privatwirtschaft vorhanden. Generell zeigt sich, dass sowohl die Agenda Austria als auch das Hayek-Institut gut in bestehenden Netzwerken neoliberaler Thinktanks verankert sind.

Agenda: Rückbau des Sozialstaates
Diese internationale und nationale Verankerung und Vernetzung ermöglicht und erleichtert es, die „Agenda zum Rückbau sozialstaatlicher Sicherung“ zügig voranzutreiben. Ein maßgeblicher Teil dieser Strategie basiert im Konkreten auf der Verunsicherung jener, die auf die sozialstaatliche Absicherung vertrauen. Deutlich wird dies am Beispiel der laufenden Debatte über die Pensionsreform.
Die Vorschläge einer vom Finanzminister 2015 beauftragten ExpertInnengruppe zur langfristigen Finanzierung unseres Pensionssystems sind weitgehend ident mit jenen der Agenda Austria: rasche Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters, Koppelung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters an die steigende Lebenserwartung (Pensionsautomatik) bzw. Anpassung der Pensionshöhe an die steigende Lebenserwartung, Erhöhung der Pensionsbeiträge oder Begrenzung des Bundesbeitrags zur Pensionsversicherung. All diese Optionen laufen auf einen substanziellen Abbau hinaus, Altersarmut ist dabei vorprogrammiert. Insbesondere die Pensionsautomatik steht bei der Agenda Austria hoch im Kurs, da durch die geplante Koppelung der (steigenden) Lebenserwartung mit dem Pensionsantrittsalter – so wird argumentiert – weder Parteien noch Politik für Leistungskürzungen zur Rechenschaft gezogen werden können. Hierfür wird oftmals auf das „Schwedische Modell“ verwiesen, das ebenso auf einer automatischen Anpassung der Pensionszahlungen basiert. Allerdings reagierte die schwedische Regierung seit der Finanzkrise laut einer OECD-Studie fünfmal mit Steuerreduktionen auf „automatische“ Pensionskürzungen.
Der Verweis der Agenda Austria auf eine „schwedische Pensionsautomatik“, die verhindern sollte, dass Pensionen „Spielball der Politik“ werden, verkennt, dass angesichts der Notwendigkeit staatlicher Interventionen in Schweden wohl kaum von einem „Automatismus“ gesprochen werden kann. Zudem wird in der Argumentation der Agenda Austria der statistisch signifikante Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und sozialer Ungleichheit ignoriert.

Ebenso wenig wird thematisiert, dass die Vorschläge letztlich zu einer Umverteilung von unten nach oben in der Alterssicherung beitragen würden. Unbeachtet bleiben Alternativstrategien zur nachhaltigen Sicherung der Pensionen wie beispielsweise die Einbeziehung aller Bereiche der Wertschöpfung in die Finanzierung sozialer Sicherheit. Die Zukunft und das Ausmaß von Sozialstaatlichkeit werden maßgeblich von dem bestimmt, was der Schweizer Soziologe Franz-Xaver Kaufmann als die „kulturelle Herausforderung“ bezeichnet. Gemeint ist damit, dass wohlfahrtsstaatliche Sicherung auf einem weitgehend gemeinsamen sozialstaatlichen Werterahmen aufbaut. Agenda Austria und andere Thinktanks setzen hier an und versuchen, eine ideologische Spaltung voranzutreiben, die letztlich dazu beitragen soll, sozialstaatliche Sicherung als ineffizient und leistungshemmend zu diskreditieren und mittels marktradikaler Ansätze soziale Polarisierung und soziale Ungleichheit in die Mitte der österreichischen Gesellschaft zu tragen. Die starke Verankerung und Vernetzung mit finanzkräftigen privatwirtschaftlichen AkteurInnen – verbunden mit einer hohen medialen Resonanz – lassen weitere Angriffe auf Ausmaß und Grad der österreichischen Sozialstaatlichkeit befürchten.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen christine.stelzer-orthofer@jku.at und stephan.puehringer@jku.at oder die Redaktion aw@oegb.at

PS: Von Vorwürfen der Unwissenschaftlichkeit …
In den vergangenen Wochen haben wir erfahren müssen, auf welche Weise die Agenda Austria auf die Analyse der institutionellen und personellen Struktur der Agenda Austria und ihrer wirtschaftspolitischen Zielsetzungen reagiert.
So wird unser Beitrag in der SWS-Rundschau (1/2016), der sich dem Phänomen neoliberaler Thinktanks in österreichischen sozial- und wirtschaftspolitischen Debatten widmet, pauschal als „nicht von wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn motiviert“ diskreditiert.
So sehen die AutorInnen der Agenda Austria im Umstand, dass (i) Veit Sorger, langjähriger Vorsitzender der Industriellenvereinigung (IV), nun im Vereinsvorstand der Agenda Austria und dort (ii) auch Senatspräsident für Fundraising ist, dass (iii) die drei letzten Präsidenten der IV im finanziellen Förderkreis der Agenda Austria sind, keine hinreichenden Indizien dafür, dass hier eine (finanzielle) Verbindung bestehe.
Stefan Pühringer, Christine Stelzer-Orthofer: Neoliberale Think-Tanks als (neue) Akteure in österreichischen gesellschaftspolitischen Diskursen, in SWS-Rundschau 1/2016, Neoliberale Sozialpolitik und ihre Alternativen, online abrufbar unter:
www.sws-rundschau.at

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