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Symbolbild zu: Gescheiterte EU-Krisenpolitik Die harte Sparpolitik fördert die Wirtschaft? Nobelpreisträger Paul Krugman nannte dies das Märchen der Vertrauensfee. Diese sollte denn auch im Reich der neoliberalen Träume bleiben.

Gescheiterte EU-Krisenpolitik

Schwerpunkt Neoliberalismus

Die neoliberale Ausrichtung der Krisenpolitik ignoriert die realen Bedingungen der europäischen Wirtschaft und führte somit zu einer Verschärfung der Krise.

Die europäische Wirtschaftspolitik war in den letzten Jahren zutiefst neoliberal geprägt. Egal ob Europäische Kommission, Europäischer Rat oder Europäische Zentralbank: Sie alle waren sich rasch darin einig, dass der Gürtel wieder enger geschnallt werden müsse. Ihre Argumentation: Wir können nicht länger über unsere Verhältnisse leben und müssen global wettbewerbsfähiger werden, um die Finanz- und Wirtschaftskrise zu überwinden. Nur so könne das Vertrauen der Märkte zurückgewonnen, könnten die privaten Investitionen sowie der Export gesteigert und damit die Millionen arbeitslos gewordener Menschen wieder beschäftigt werden.

Imaginiertes Europa der Zwerge
Würde die europäische Wirtschaft in erster Linie aus winzigen Volkswirtschaften bestehen, die hochgradig vom Export von Waren und Dienstleistungen in aller Welt abhängen, könnte dieses wirtschaftspolitische Konzept sogar Sinn machen. Auch wäre das neoliberale Dogma der Alternativlosigkeit gültig, wonach hohe Steuern kaum durchsetzbar und Sparmaßnahmen nicht sonderlich schädlich wären. Wettbewerbs-orientierte Strukturreformen, die die Exportpreise senken, könnten das Produktionsniveau steigern. Zusammen wäre dies eine kleine Veränderung auf globaler Ebene, aber ein riesiger Schritt fürs imaginäre Europa der Zwerge, das mittels globaler Märkte wieder expandieren könnte.
Allein die neoliberalen Annahmen ignorieren die reale Situation. So ist die inländische Nachfrage in den meisten Mitgliedstaaten immer noch die relevantere Größe als der Exportsektor. Selbst in der relativ offenen österreichischen Volkswirtschaft entfallen auf Konsum und Investitionen im Inland knapp zwei Drittel der Gesamtnachfrage – auf den Export folglich „nur“ gut ein Drittel. Hinzu kommt, dass die exportierten Waren und Dienstleistungen nicht auf dem globalen Markt landen, sondern überwiegend in anderen Ländern der EU. So kommt es, dass auch in Zeiten der Globalisierung insgesamt sieben Achtel der in der EU produzierten Waren und erbrachten Dienstleistungen hier abgesetzt werden und nur ein Achtel in Drittstaaten exportiert wird.
Angesichts dieser Größenordnungen versteht es sich von selbst, dass eine Strategie des „Gürtel-enger-Schnallens plus Exporte“ in Europa kein erfolgreiches Rezept sein kann, um aus der Krise zu kommen. So waren auch nur Neoliberale überrascht, als die Wirtschaft der Eurozone – in der die europäische Wirtschaftspolitik sehr viel stärker greift als in der EU insgesamt – zwischen 2012 und 2013 neuerlich schrumpfte.
Hauptgrund dafür war die harte Sparpolitik, zu der ab 2011 (bis auf Deutschland) praktisch alle Länder gezwungen wurden – durch die europäischen Budgetregeln sowie den besonderen politischen Druck auf die sogenannten Krisenländer. Entgegen der Mehrheitsmeinung der Wirtschaftswissenschaft wollte die Europäische Kommission die Öffentlichkeit glauben machen, dass die Sparpakete die Wirtschaft fördern könnten. Der Nobelpreisträger Paul Krugman nannte dies das Märchen der Vertrauensfee, die gemäß Kommission auf wundersame Weise die Wirtschaftsakteure ermutigt, wieder zu investieren und zu konsumieren – obwohl ihnen weniger Geld zur Verfügung steht.

Im Reich der Träume
Es ist wenig überraschend, dass die Fee im Reich der neoliberalen Träume blieb. Statt Vertrauen in die Zukunft zu fassen und wieder mehr zu produzieren, fürchteten die Unternehmen die Konsequenzen höherer Massensteuern und Ausgabenkürzungen. Als Reaktion auf gefühlte und tatsächlich schlechtere Absatzmöglichkeiten schränkten sie Investitionen, Beschäftigung und Produktion weiter ein – insbesondere in Spanien, Portugal und Griechenland, wo die umfangreichsten Programme umgesetzt wurden.
Nur langsam kam es zu einem Umdenkprozess, eingeleitet ausgerechnet vom Internationalen Währungsfonds. Dieser steht nicht nur seit Jahrzehnten für die globale Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik, sondern hat im Rahmen der sogenannten Troika die Spardiktate in Griechenland und Portugal mit zu verantworten. Neue Berechnungen zeigen, dass die negativen Folgen der Sparpolitik viel stärker waren als ursprünglich angenommen. Nicht nur das: Sie verschärften die Krise sogar. Seitdem gibt es eine langsame Abkehr vom Dogma des rasch auszugleichenden Staatshaushaltes. Es dauerte drei Jahre, bis die Europäische Kommission erstmalig eine insgesamt leicht expansive Budgetpolitik in der Eurozone empfahl. Dass gänzlich vom Dogma des ausgeglichenen Staatshaushalts abgegangen wird, ist aufgrund der restriktiven Fiskalregeln, die sich die EU-Staaten gegeben haben, wenig wahrscheinlich. Das strikte Vorgehen gegen Portugal und Spanien mit relativ geringen Abweichungen zeigt, dass der budgetpolitische Lernprozess nicht geradlinig verläuft.
Je mehr klar wurde, dass harte Sparpolitik nicht aus der Krise führt, desto lauter wurde der neoliberale Ruf nach mehr Wettbewerbsfähigkeit und Strukturreformen, um aus der Krise zu kommen. Im Kern geht es dabei um die Durchsetzung des Dogmas der freien Märkte: Es gibt ein Problem am Arbeitsmarkt? Dann braucht es eben eine weitgehende Deregulierung der Arbeitsbeziehungen, so die Argumentation.
Erstaunlich dabei ist, dass die Kommission in der Vergangenheit schon einmal pragmatischer war. Im Jahr 2002 definierte sie die Wettbewerbsfähigkeit noch als „die Fähigkeit der Wirtschaft, der Bevölkerung nachhaltig einen hohen und wachsenden Lebensstandard und eine hohe Beschäftigung zu sichern“. Von dieser Definition ist man inzwischen abgekommen. Heute sollen vor allem Exportunternehmen profitieren können, während „sich [die BürgerInnen] neuen Anforderungen, Trends und Herausforderungen anpassen“ sollen, wie es in einer Erklärung des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker heißt. Anders gesagt: Von der Bevölkerung werden Anpassungsleistungen an vermeintliche wirtschaftliche Sachzwänge verlangt. Die Relevanz der Nachfrageseite bzw. die Doppelrolle der Löhne – einerseits Produktionskosten, andererseits Einkommen, die für den Konsum verwendet werden – bleibt in dieser Logik ausgeblendet.

Alternative Wirtschaftspolitik gefragt
Folglich wird von einer verteilungs- und preisneutralen Lohnpolitik durch die Sozialpartner abgerückt. Stattdessen wird die Koppelung der Lohnkostenentwicklung an jene der wichtigsten Exportländer gefordert. Eine schlechte Lohnentwicklung in einem Land – wie vor der Krise insbesondere in Deutschland und nun in den Krisenstaaten – würde dann alle anderen nach unten ziehen. Dort wiederum würde sie zu zunehmender Kritik der Kommission an der lohnkostenseitigen Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ihren Handelspartnern führen, wie das in Frankreich bereits zu sehen ist.
Die Beispiele von Spanien und anderen Ländern zeigen, dass noch nicht einmal der Angebotseffekt funktioniert, da die geringeren Kosten kaum zu sinkenden Exportpreisen führen, sondern in erster Linie die Gewinne erhöhen – vom negativen Nachfrageeffekt ganz zu schweigen. Am Ende bringt ein verschärfter Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten eine insgesamt schlechte Nachfrage- und damit Wirtschaftsentwicklung, Verschlechterungen für die ArbeitnehmerInnen und eine Zunahme der globalen Ungleichgewichte durch destabilisierend hohe Leistungsbilanzüberschüsse. Obendrein sind zunehmende politische Spannungen wahrscheinlich, wenn aus KooperationspartnerInnen für „das Allgemeinwohl“ nun KonkurrentInnen um die „kostengünstigen“ Standards werden.
Die gescheiterte Krisenpolitik hat eine Alternative: Wohlstandsorientierung muss zum übergeordneten Ziel der Wirtschaftspolitik werden. Die Korrektur der Verteilungsschieflage, der Abbau der Arbeitslosigkeit, soziale und ökologische Investitionen und die Absicherung des Sozialstaates müssen in den Mittelpunkt der Politik rücken.
Die Stärkung der Binnennachfrage ist in erster Linie durch eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik sowie eine adäquate Finanzpolitik zu fördern. Zweite Säule muss eine beschäftigungsfreundlichere Fiskalpolitik sein, in deren Mittelpunkt die gesamteuropäische konjunkturelle Wirkung steht. Eine ausreichende Einnahmenbasis des Staates ist durch eine effektive Steuerkoordinierung sicherzustellen – insbesondere durch energischeres Vorgehen gegen Steuerbetrug, Steueroasen und aggressive Steuerplanung.

Linktipp:
AK-Stellungnahme zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion
tinyurl.com/j7ffybf

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor georg.feigl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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