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Symbolbild: Eine Frage der Verteilung Generationengerechtigkeit ist eine Frage der Verteilung zwischen Arm und Reich und nicht zwischen Alt und Jung.
Buchtipp

Eine Frage der Verteilung

Schwerpunkt

Generationengerechtigkeit wird durch starke Vermögenskonzentration und deren Vererbung verhindert.

„Wohlstand für alle“: In den 1950ern rief der damalige deutsche Bundeskanzler Ludwig Erhard dieses Ziel aus. Heute ist dies nur noch eine Illusion, wie der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, in seinem neuen Buch festhält. Deutschland biete nur noch Wohlstand für wenige und die Zukunftsperspektive verdüstere sich angesichts steigender Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen.
„Verteilungskampf“ ist nicht nur der Titel dieses medial gefeierten Buches. Es ist auch eine passende Beschreibung für die wiederkehrenden Diskussionen über Kürzungen im Sozialsystem.

Falscher Fokus
Anders als dies medial gerne inszeniert wird, ist Generationengerechtigkeit kein Kampf zwischen Alt und Jung. Vielmehr geht es dabei um die Verteilung des Reichtums in unserer Gesellschaft und deren Auswirkungen auf zukünftige Generationen. Es geht um die soziale Polarisierung zwischen Reich und Arm.
Von neoliberaler Seite wird gerne argumentiert, dass das österreichische Pensionssystem nur noch für wenige Alte Wohlstand bringe, während die Pensionen für Junge nicht mehr zu finanzieren seien. Tiefgreifende Reformen seien notwendig, um für Generationengerechtigkeit zu sorgen. Diese Debatte schafft bei jungen Menschen große Verunsicherung, denn der Grundtenor lautet, dass nur drastische Einschnitte ins Pensionswesen die soziale Absicherung zukünftiger Generationen gewährleisten können.

Reiche profitieren
Von diesen Kürzungsdebatten, die infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise spürbar an Intensität gewonnen haben, profitiert vor allem eine Gruppe: die Reichsten in unserer Gesellschaft. Denn sie stehen nun nicht mehr im Rampenlicht, nachdem sie in den vergangenen Jahren mehrfach im Fokus steuerpolitischer Vorschläge zur Finanzierung wichtiger Investitionen für zukünftige Generationen waren. Von großen Einschnitten wie Erbschafts- und Vermögenssteuern blieben sie bislang verschont.
Langsam schwindet auch die drastische Ungleichheit mit all ihren negativen Begleiterscheinungen aus der öffentlichen Wahrnehmung. Dabei könnte man mit einem gerechten Beitrag der Vermögendsten der Unsicherheit über die zukünftige Finanzierbarkeit wohlfahrtsstaatlicher Leistungen den Wind aus den Segeln nehmen.
Vermögensungleichheit und Generationengerechtigkeit sind eng miteinander verwoben. Das ergibt sich einerseits aus der trivialen Erkenntnis, dass die Vermögenskonzentration von heute – zur Erinnerung: das reichste Prozent der Haushalte besitzt 37 Prozent des Nettovermögens – die Chancengleichheit der nächsten Generation erheblich hemmt. Zahlreiche Studien zeigen, dass Bildung, berufliche Aussichten und Einkommen auch in Österreich stark vom finanziellen Familienhintergrund abhängen. Andererseits werfen direkte und sehr ungleich verteilte Vermögensübertragungen von einer Generation an die andere die Frage nach Gerechtigkeit auf.
In Österreich muss ein Haushalt ohne Erbschaft auf der Einkommensleiter die Hälfte aller Haushalte überspringen, um mit seinem Arbeitseinkommen eine durchschnittliche Erbschaft ausgleichen zu können. Oder anders ausgedrückt: Mit Arbeit können junge Menschen die ErbInnen größerer Vermögen nicht mehr einholen.

Vermögenskonzentration
Die immense Schieflage bei den leistungslosen, vererbten Vermögen ist hauptverantwortlich dafür, dass Gerechtigkeit zwischen Generationen ausgehebelt wird. Die Vererbung von Ungleichheit über Generationen hinweg führt zu einer fortschreitenden Verschärfung der Vermögenskonzentration, einer Verringerung von Chancengleichheit, ungleicher Abhängigkeit von den Leistungen des Wohlfahrtsstaates und zuletzt gefährdet sie auf lange Sicht auch die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Drohende Refeudalisierung
Die Entkopplung des obersten Verteilungsrands und das Zurückbleiben weiter Bevölkerungsteile erfordern konsequente politische Gegenmaßnahmen.
Auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse von Piketty und Co gilt es klar zu sagen, dass eine Steuer auf sehr große Vermögen, die nur einen kleinen Teil der Erträge abschöpft, die Vermögensverhältnisse nicht nachhaltig verändert. Dass eine Steuersenkungspolitik für Spitzeneinkommen, Top-Vermögen und große Konzerne nicht höheres Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze bedeutet, sondern im Gegenteil die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates untergräbt. Dass Erbschaften nicht nur äußerst ungleich verteilt sind, sondern ohne wesentliche Besteuerung gesellschaftliche Verhältnisse über Generationen einzementieren und Chancengleichheit für kommende Generationen aushebeln. Dass angehäufter Reichtum nicht neutral ist, sondern seinen BesitzerInnen wirtschaftliche und politische Gestaltungsspielräume schafft.
Solche Einflussmöglichkeiten variieren in ihrer Form von Lobbying-Aktivitäten bis hin zur Finanzierung von interessengeleiteten Denkfabriken. Es ist augenscheinlich, dass der politische Einfluss gezielt dazu eingesetzt wird, den Reichtum einiger weniger abzusichern, Umverteilungsmaßnahmen zu blockieren und den politischen Diskurs in eine für sie vorteilhaftere Richtung zu lenken – auch auf Kosten zukünftiger Generationen. Der deutsche Soziologe Sighard Neckel warnt in diesem Zusammenhang vor einer „Refeudalisierung“ sozialer Ungleichheit, bei der die Vereinigung von wirtschaftlicher und politischer Macht an Zeiten vor der Französischen Revolution erinnert. Der britische Politikwissenschafter Colin Crouch mahnt vor einem Rückfall in vordemokratische Zeiten, wenn durch die Konzentration von Vermögen private Interessen die Institutionen des Gemeinwesens bestimmen.
Es ist somit eine berechtigte Sorge von jungen Menschen, dass sie im Ver-gleich zu ihren Eltern einen geringeren Lebensstandard haben werden, weil sie nicht auf große Erbschaften hoffen können und gleichzeitig scharfe Angriffe auf die Grundpfeiler des Wohlfahrtsstaates erleben.
Ein gut ausgebautes Sozialwesen ist in unterschiedlichen Lebensphasen ein wichtiger Sicherheitsanker und ermöglicht die gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen. Um eine Refeudalisierung sozialer Verhältnisse zu verhindern, muss den durch falsch verstandene Generationengerechtigkeit angeheizten Kürzungsdebatten eine Verteilungspolitik im Sinne heutiger und zukünftiger Generationen entgegengestellt werden.

Instabile Finanzmärkte
Als konservativer Politiker hatte Ludwig Erhard eine klare Meinung, wie „Wohlstand für alle“ erzielt werden könne: durch freie Märkte und Wettbewerb. Nicht zuletzt die globale Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass ein deregulierter, finanzmarktgetriebener Kapitalismus nicht für breiten Wohlstand, sondern für Instabilität und Unsicherheit sorgt. Nur ein gut ausgebauter, institutionell stark verankerter Wohlfahrtsstaat kann für eine gerechtere Verteilung des Wohlstands und soziale Absicherung für alle sorgen.

Tiefgreifende Reform
Das österreichische Sozialsystem hat sich in der Krise bewährt und ist trotzdem laufend den Angriffen von neoliberaler Seite ausgesetzt. Eine Verteidigungshaltung gegen drohende Einschnitte wird aber zu wenig sein, um für Generationengerechtigkeit zu sorgen. Diese erfordert vielmehr tiefgreifende, offensive Maßnahmen gegen die immense Vermögenskonzentration und deren Vererbung auf zukünftige Generationen.

Linktipp:
„Falscher Fokus“
tinyurl.com/h428hzy

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor matthias.schnetzer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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