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Symbolbild zum Beitrag: Gute Allianzen Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem guten Leben für alle und gewerkschaftlichen Forderungen nach guter Arbeit.
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Gute Allianzen

Schwerpunkt

Seit einigen Jahren bilden sich Allianzen, die die ökologische und die soziale Frage nicht mehr trennen wollen. Sie fordern ein gutes Leben für alle!

Spätestens die Finanz- und Wirtschaftskrise legte die zunehmende Verteilungsschieflage in Europa offen. Hohe Arbeitslosigkeit, Demokratiedefizite im europäischen Krisenmanagement und nicht zuletzt die Folgen des Klimawandels veranlassten eine wachsende Zahl an politischen KommentatorInnen zur Diagnose einer multiplen Krise, deren Komponenten kaum noch isoliert bearbeitet werden können.

Wohlstandsinsel Europa

Stellt schon das Management der internen Probleme für Europa heute eine massive Herausforderung dar, so schärfen die interkontinentalen Fluchtbewegungen der letzten Zeit zunehmend das Bewusstsein dafür, dass die Wohlstandsinsel Europa neue und stärker international vernetzte Lösungen zur Krisenbearbeitung suchen muss. Unterschiedliche inter- und supranationale Organisationen wie die OECD, die Vereinten Nationen oder die Europäische Kommission versuchen auch angesichts dieser Herausforderungen, Strategien für ein neues Wirtschafts- und Wachstumsmodell zu entwerfen. Schlagworte wie Green Growth, Green Economy oder Circular Economy prägen in den letzten Jahren die öffentliche Diskussion über zukunftsfähige Wirtschaftssysteme. „Better life Indices“ oder Überlegungen zu „GDP and beyond“ sollen die Wohlstandsmessung auf eine umfassendere und aussagekräftigere Basis stellen (siehe auch „Die Glücksmessung“).
Die Diskussionen des politischen Mainstreams gehen vielen nicht weit genug. Die ökologische Ökonomie warnt schon lange davor, dass die hochentwickelten Gesellschaften ihren Ressourcen- und Energieverbrauch längst reduzieren müssten, wenn die Klimakatastrophe verhindert werden und der globale Süden weiter Wachstumschancen haben soll. Diese Mahnungen nimmt man nun anscheinend auf breiter Front ernst. Vielerorts bestehen Zweifel, dass die angestrebten Wege der Steigerung von Ressourcen- und Energieeffizienz und der Reduktion von Treibhausgasemissionen (im Inland) ausreichen, um die westlichen Gesellschaften auf langfristig tragfähige Entwicklungspfade zu bringen.
Nicht nur zeigen Untersuchungen, dass sogenannte Rebound-Effekte oftmals dazu führen, dass Effizienzgewinne durch den Erwerb größerer Geräte oder intensiveres Nutzungsverhalten kompensiert werden. Berechnungen zum Export von Umweltbelastungen bzw. zum ökologischen Fußabdruck verdeutlichen auch, dass ein Teil der vermeintlich eingesparten CO2-Emissionen der europäischen Gesellschaften lediglich gemeinsam mit der Güterproduktion ins Ausland verlagert wurden und eigentlich weiterhin dem europäischen Konsum zugerechnet werden müssten. Und dank der „Deregulierungserfolge“ wächst in Europa kein Verkehrssektor so stark wie der Luftverkehr – im Zeitraum 1995 bis 2011 immerhin um mehr als 66 Prozent.
Vor diesem Hintergrund möchte sich eine wachsende Gruppe von VertreterInnen aus Wissenschaft, NGOs, sozialen Bewegungen und Gewerkschaften nicht mehr mit dem Status quo abfinden. Sie fordern einen fundamentalen Kurswechsel in Europa. Mit dem Ziel, gemeinsam neue Lösungen zur Bearbeitung der multiplen Krise zu finden, bilden sie neue Allianzen, in denen sie auch bereit sind, die Grenzen der eingespielten institutionellen Handlungs- und Themenfelder zumindest punktuell zu überschreiten. Unter dem Motto „Gutes Leben für alle“ werden in diesem Sinne nicht nur Fragen der Verteilung von Arbeit, Einkommen, Vermögen bzw. Selbstverwirklichungschancen und Teilhabemöglichkeiten an Gesellschaft und Demokratie, sondern auch der Ernährungssouveränität, der internationalen Solidarität und des Lebens in Einklang mit Natur und Umwelt gemeinsam problematisiert.
Kleinräumige bzw. regional verankerte Initiativen und Projekte einer solidarischen Ökonomie und Gesellschaft – wie Food Coops oder alternative Wohnprojekte – sind damit genauso angesprochen wie politische Bewegungen für eine Re-Regulierung der Finanzmärkte oder des internationalen Handels. Zentral ist die Bekämpfung der politischen und ökonomischen Machtungleichgewichte, nicht zuletzt im Sinne der Interessen von armen und benachteiligten sozialen Gruppen im globalen Süden gleichermaßen wie im hochentwickelten Norden.

Kurswechsel

Dabei ergreifen durchaus unterschiedliche AkteurInnen die Initiative. Schon im Dezember 2012 organisierte die IG Metall in Berlin einen großen Kongress mit dem Titel „Kurswechsel für ein gutes Leben“, auf dem man sich auf die Suche nach einem neuen Fortschrittsbegriff für Industriegesellschaften und alternative Entwicklungspfade machte. 2014 verwendete eine Kooperation aus AK Wien, Attac Österreich, Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM), Grüner Bildungswerkstatt u. a. den gleichen Titel für eine Veranstaltungsreihe und eine Ausgabe der Zeitschrift „Kurswechsel“. Im Februar 2015 fand an der Wirtschaftsuniversität der erste große österreichische Kongress mit dem Titel „Gutes Leben für alle“ statt, auf Initiative der Allianz „Wege aus der Krise“ und des Obmanns der Grünen Bildungswerkstatt Österreich. „Wege aus der Krise“ ist dabei bereits selbst eine themenübergreifende zivilgesellschaftliche Allianz, an der österreichische Fachgewerkschaften und Umweltorganisationen ebenso beteiligt sind wie die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch, das Netzwerk Armutskonferenz, die österreichische HochschülerInnenschaft und Attac Österreich. Schon in diesem Netzwerk wurden in den letzten Jahren themenübergreifende politische Allianzen erprobt und das Ergebnis der internen Abstimmung in Form eines jährlich erscheinenden Zivilgesellschaftlichen Zukunftsbudgets als Forderungen an die Politik herangetragen. Der Kongress wurde von der AK, Entwicklungsorganisationen, Forschungsinstitutionen und politischen Bildungseinrichtungen mitgetragen. Zusätzlich haben sich zahlreiche Initiativen an einer Messe beteiligt, die im Rahmen des Kongresses stattgefunden hat.
Der Vorteil der Utopie des guten Lebens für alle ist, dass sich im Unterschied zum „verwandten“ Postwachstumskonzept – in dem sehr viel Gewicht auf Verzicht und individuelle Verantwortung gelegt wird – auch gesellschaftliche AkteurInnen darauf einigen können, die stärker mit der bestehenden Wachstumslogik verbunden sind. Schließlich bleiben die konkreten Schritte und Zwischenziele zur Transformation unserer Gesellschaften vorerst relativ offen.
In der akademischen Diskussion wurde die Idee des guten Lebens vor allem unter Berufung auf Aristoteles ausformuliert, am prominentesten von der US-amerikanischen Sozialphilosophin Martha Nussbaum. Ihr geht es im Sinne der Entwicklung menschlicher Grundfähigkeiten nicht nur um die Sicherung von grundlegenden Daseinsvoraussetzungen, sondern auch um die Schaffung von gesellschaftlichen Bedingungen, die allen gleichermaßen die Entdeckung und Nutzung des eigenen schöpferischen Potenzials und den Aufbau von bedeutenden Beziehungen zu Mitmenschen und der Natur ermöglichen. In ähnlicher Weise entwerfen der Wirtschaftshistoriker Robert Skidelsky und sein Sohn Edward eine Ökonomie des guten Lebens, die im Unterschied zum wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream konkrete menschliche Bedürfnisse wie Gesundheit, Sicherheit, Persönlichkeit und Harmonie mit der Natur in den Fokus nimmt sowie die politisch-ökonomischen Möglichkeiten für deren Erfüllung.

Mehr Schlagkraft als Allianz

Offensichtlich ist, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem guten Leben für alle und gewerkschaftlichen Forderungen nach belastungsarmen und entwicklungsförderlichen Arbeitsplätzen, geregelten Arbeitszeiten, gerechter Einkommens- und Vermögensverteilung, umfassender demokratischer Mitbestimmung und guten Bildungschancen besteht. In diesem Sinne werden die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen auch weiterhin wichtige Bündnispartnerinnen im Kampf für ein gutes Leben für alle sein. Durch neue Allianzen erhalten zentrale Anliegen im besten Fall noch mehr Schlagkraft.

Linktipp:
Dialogreihe „Gutes Leben für alle“:
www.guteslebenfueralle.org


Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor florian.wukovitsch@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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