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Voneinander lernen

Wir sind Europa

Eindrücke aus einem Monat bei der Schweizer Gewerkschaft Unia in der Sektion Zürich/Schaffhausen.

Dass sich ein Europapraktikum lohnt, wird niemand bestreiten. Man erhält Einblicke in neue Bereiche und sammelt Erfahrungen, die einem keiner mehr nehmen kann. Reicher an Erfahrungen und ausgestattet mit neuen Erkenntnissen kehrt man auch nach dem Europapraktikum der Sozialakademie zurück. Einen Monat lang der Gewerkschaft Unia – Sektion Zürich/Schaffhausen über die Schultern blicken zu dürfen ist für einen österreichischen Gewerkschaftssekretär daher ein ganz besonderes Erlebnis.

Einzelbetreuung

Die Sektion Zürich/Schaffhausen ist eine sogenannte Pilotregion, in der die Gewerkschaftsarbeit in eine kollektive Mitgliederbetreuung und eine individuelle Mitgliederbetreuung geteilt wurde. Konkret bedeutet das, dass die Beratung und Betreuung des oder der Einzelnen von der restlichen gewerkschaftlichen Arbeit getrennt wird. Die Umstellung auf dieses Modell hatte zur Folge, dass mehr Potenzial für die kollektive Mitgliederbetreuung freigesetzt und die Beratung zielgerichteter und qualitativ hochwertiger geworden ist.

Schon die ersten Wochen führten zu interessanten Erkenntnissen. So verlaufen Mitgliederwerbegespräche in der Schweiz ähnlich wie in Österreich. Thema Nummer eins: der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) – also das Schweizer Äquivalent zum Kollektivvertrag. Lauscht man den Gesprächen, stößt man aber auch auf andere Themen wie die „Vollzugskosten“, die Mitglieder über ihre Gewerkschaft zurückfordern können, oder die Paritätische Kommission, die in der Schweiz auch bei Lohnproblemen tätig wird. Der wohl auffälligste Unterschied scheint aber zu sein, dass es für die Schweizer GewerkschafterInnen im Außendienst zu ihrem Alltag gehört, mehr- und vielsprachige Gespräche mit den Menschen zu führen.

Organizing bedeutet harte Arbeit. Die Zürcher „OrganizerInnen“ teilen sich ihre Arbeit weitgehend selbst ein, wobei abends und an Wochenenden auffällig viel gearbeitet wird. Sogenannte House Visits stellen ein effektives Mittel in der Schweizer Gewerkschaftsarbeit dar. Wie der Name schon sagt, werden ArbeitnehmerInnen in ihren eigenen vier Wänden besucht, was – wie es scheint – eine Reihe an Vorteilen mit sich bringt.

„Die Menschen fühlen sich zu Hause wohl und es fällt ihnen leichter, offene Gespräche zu führen. Zu Hause fühlen sie sich sicher, wenn sie uns über Probleme in ihrem Betrieb berichten oder wenn sie sich rechtlich beraten lassen wollen“, erklärt ein Zürcher Gewerkschaftssekretär.

Aufbauteam

Mit gezielter Kampagnenarbeit für ArbeitnehmerInnen der verschiedenen Branchen beschäftigt sich in der Unia das Aufbauteam. Als sich vor den Gesamtarbeitsvertragsverhandlungen Schwierigkeiten in der Baubranche abzuzeichnen begannen, trafen sich die Mitglieder des Aufbauteams mit den BauarbeiterInnen – zum Teil in Baracken – und nutzten deren Vormittagspausen und Mittagspausen für Präsentationen und Informationsveranstaltungen. Neben der Betreuung der Vertrauensleute und der verschiedenen Branchen kümmert sich das Aufbauteam auch um die Sprachgruppen, die eine ganz besondere Gruppe innerhalb der Schweizer Gewerkschaftsbewegung darstellen. Sprachgruppen arbeiten aktiv an Weiterbildungsveranstaltungen, zu denen unter anderem Sprachkurse zählen. Portugiesisch, Albanisch und Serbokroatisch stehen dabei im Vordergrund.     

Teil des eigenen Erlebens

Nur wenige Wochen in einem „fremden“ Land führen zu vielen neuen Eindrücken und Erfahrungen. Eindrücke und Erfahrungen enden nicht in dem Moment, in dem sie passieren. Hat man sie einmal gesammelt, ist es unmöglich, an jenen Punkt zurückzukehren, an dem sie noch nicht Teil des eigenen Erlebens waren. Man nimmt sie mit und sie verändern die eigene Sichtweise, das eigene Arbeiten und das eigene Wesen. Und das ist das Wertvolle daran, weil wir schließlich alle voneinander lernen können.

INTERVIEW
Zur Person - Matthias Hartwich
Alter: 47
Beruf: Director, Mechanical Engineering and Materials Industries
Erlernter Beruf: Diplom-Politikwissenschafter
Firmenstandort (Mitarbeiter): Genf (GE), knapp 50 MitarbeiterInnen
Gewerkschaft: Unia (Unia ist eine branchenübergreifende Schweizer Gewerkschaft. Sie organisiert die Arbeitnehmenden in Industrie, Gewerbe, Bau und privatem Dienstleistungsbereich), IG BAU

Was bedeutet Ihnen Arbeit?

Selbstverwirklichung, mit Menschen umgehen, soziale Kontakte. Ich habe, im wahrsten Sinne des Wortes, „einen Bock auf Leute“.

Wie sehen Sie die Wirtschaft?

Gesellschaftliche Basis, auf der wir uns bewegen, Spielfeld für die sozialen Konflikte. „Sein bestimmt das Bewusstsein.“ (Marx) Die Wirtschaft ist die Basis für alles, gleich dem Feld, auf dem wir alles erwirtschaften, verteilen und gestalten.

Was bedeutet Ihnen Gewerkschaft?

Die Gewerkschaft ist nicht nur mein Arbeitgeber, die Gewerkschaft ist meine Heimat (vor allem die IG BAU) – mit einer Fülle an Kontakten und einem weltumspannenden Netzwerk. Aus meiner Sicht ist die Gewerkschaft in der Schweiz eher Ordnungsfaktor als Gegenmacht!

Was bedeutet Ihnen die EU?

Die EU ist der Raum, in dem wir ökonomisch und auch politisch die Regeln setzen müssen! In der Schweiz ist die EU wichtiger Partner, aber ein EU-Beitritt kein Thema.

Ihr Lieblingsland in Europa? Warum?

Mein Lieblingstier ist der Otter – ist schlau und fleißig. Ich halte nicht viel von „Lieblingsländern“ und dergleichen.

Was bringt der Euro-Betriebsrat?

Aus Gewerkschaftssicht ist der EBR eines der zentralen Themen und der Beginn einer grenzüberschreitenden ArbeitnehmerInnenmitwirkung (ich war früher als Trainer für Euro-Betriebsräte tätig). Der EBR muss sich noch entwickeln, stellt die Basis dar (siehe auch die Frage über die Wirtschaft) und soll sich über die Grenzen hinweg organisieren. Der EBR ist die einzige grenzüberschreitende ArbeitnehmerInnenvertretung mit gesetzlicher Basis!  Mein Wunsch wäre: „Enger an Gewerkschaften.“ Das Problem auch der Schweizer Firmen ist: Sie wollen Marktzugang, Personenfreizügigkeit etc. Die ArbeitnehmerInnenmitwirkung ist jedoch eher gering ausgeprägt!

Wie und wie oft machen Sie Urlaub?

Eher individuell, zweimal im Jahr.

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?

Wir müssen es schaffen, dass es keine Rolle spielt, welche Augenfarbe, Haarfarbe bzw. welches Geschlecht jemand hat. Alle ArbeitnehmerInnen sind Mitglieder einer Gewerkschaft (Stichwort: „freie“ Gewerkschaft) – weltweit (global sind circa sieben Prozent organisiert).

Das Steuersystem in der Schweiz ist anders als in Österreich, was zeichnet es aus?

Der Schweizer Staatsbürger bekommt sein Gehalt/seinen Lohn brutto und führt Steuern selbst ab. Das erfolgt monatlich in Form einer „Steuerrechnung“, man zahlt durchschnittlich circa 25 Prozent, das ist je nach Kanton unterschiedlich. Es gibt eine gemeinsame Veranlagung der Ehepartner. Das Steuersystem ist dreiteilig aufgebaut: Es gibt bundesweite Abgaben (überall in der Schweiz ident), Abgaben im Kanton (unterschiedlich) und Abgaben im Wohnort (unterschiedlich). Das ergibt einen maximalen Durchschnittssteuersatz von circa 30 Prozent. Der „Ausländer“ bzw. der im Ausland wie Frankreich wohnt: Abgaben werden von der Payroll komplett abgezogen und abgeführt. Man bekommt sein Gehalt bzw. seinen Lohn netto.

Wie funktioniert die Sozialversicherung?

Es gibt eine Versicherungspflicht bei privaten Versicherern, die personenbezogene und -abhängige Sätze verrechnen, plus unterschiedliche Selbstbehalte im Versicherungsfall.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor martin.bramato@proge.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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