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Ein Salzstangerl am Tag Arm kann auch sein, wer zuvor einen guten Job hatte. Die heutigen Armen malen keine Kunstwerke aufs Straßenpflaster. Betteln wird meist mit "Banden" aus osteuropäischen Ländern gleichgesetzt. Arm sind - angeblich - Leute anderswo.

Ein Salzstangerl am Tag

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Armut in Österreich sieht man erst auf den zweiten oder dritten Blick. Und so vergisst man, dass eine Million Menschen hierzulande armutsgefährdet ist.

Spenden Sie für Afrika, dort sind die Menschen ärmer. In Österreich geht es den Menschen eh gut. Das Land ist schließlich eines der reichsten der Welt, nach BIP im Jahr 2012 zum Beispiel das zwölftreichste. Da müssen Sie doch bitteschön genug zum Leben haben und können ein wenig davon abgeben. Wie, nein? Sie haben kein Geld übrig? Was machen Sie bloß falsch?
So oder so ähnlich geht es Menschen hierzulande, wenn sie arm sind. Viele können nicht glauben, dass jemand in Österreich zu wenig Geld zum Leben und Überleben hat. Doch die Armut ist mitten unter uns.

Mangel an Teilhabechancen

Verena Fabris, Sozialexpertin der Volkshilfe: „Armut ist oft nicht sichtbar. Menschen, die auf der Straße betteln oder auf Parkbänken schlafen, sind nur die Spitze des Eisbergs.“ Schließlich heiße arm zu sein mehr als kein Geld zu haben. Arm zu sein bedeutet, in schlechteren Wohnungen zu wohnen, schlechtere Bildungschancen zu haben, öfter krank zu sein, früher zu sterben. Arm zu sein bedeutet in einer reichen Gesellschaft einen Mangel an Teilhabechancen: FreundInnen nicht nach Hause einladen zu können, nicht auf Urlaub fahren zu können, nicht am kulturellen Leben teilnehmen zu können. Rund eine Million Menschen sind in Österreich armutsgefährdet.
Von manifester Armut spricht die Statistik, wenn geringes Einkommen mit Einschränkungen in zentralen Lebensbereichen verbunden ist. Die Einkommensarmutsgrenze wird mit jeweils 60 Prozent des mittleren Pro-Kopf-Haushaltseinkommens definiert, das sind in Österreich derzeit (Stand 2012: EU-SILC 2010) 1.031 Euro für einen Einpersonenhaushalt. In Wien betrifft dies 304.000 Personen oder 18,2 Prozent. Der Nachbar geht morgens aus dem Haus, arbeitet, ist abends müde – und am Ende des Monats reicht sein Geld trotzdem nicht für Miete, Essen und Heizung. Seine Armut ist nicht von außen erkennbar. Die Freundin will mit ihrem Kind lieber zu Hause bleiben statt ins Café zu gehen. Dass sie sich den Caffè Latte in einem Lokal nicht leisten kann, bleibt außen vor. Armut wird versteckt. Job verloren, Arbeitslosengeld – passt, meinen viele, die noch nie in der Situation waren. Dass die staatliche Unterstützung bei steigenden Mieten nicht reicht, wer weiß das schon? Arm kann auch sein, wer zuvor einen guten Job hatte. Die heutigen Armen malen keine Kunstwerke aufs Straßenpflaster. Das Betteln wird heute oft mit „Banden“ aus osteuropäischen Ländern gleichgesetzt. Arm sind – angeblich – Leute anderswo.

Flohmarkt statt Boutique

Prekäre JobberInnen sind auf den ersten Blick korrekt gekleidet. Hackler in Feinripp und Mundl-Typen sind eher passé. Die Kleidung stammt aus einem Billigladen oder von Flohmärkten. Sie wird getragen, bis sie nicht mehr tragbar ist. Wer genauer hinschaut, sieht trotzdem: der Mantel ist abgewetzt, der Pulli immer derselbe. Das Brillengestell wackelt, kann aber nicht ersetzt werden. Das Handy ist alt, geht es kaputt, geht sich kein neues aus. Gerade ein Jugendlicher ist so schnell „out“. Beispiel verdeckte Obdachlosigkeit: jemand verliert seine Wohnung, landet aber nicht auf der Straße, sondern schlüpft bei Verwandten oder Bekannten unter – und zählt nicht zur Statistik.
Für die Statistik Austria heißt akute Armut: Beengende, dunkle, feuchte Wohnverhältnisse, nicht ausreichend geheizte Wohnungen. Unerwartete Ausgaben wie für die Reparatur eines kaputten Kühlschranks, Nachzahlungen durch steigende Energiepreise können nicht geleistet werden. Es kommt zu Rückstand bei Zahlungen. Gesundheitsausgaben wie Arztrechnungen, Pflegekosten sind zu teuer. Man ist isoliert, da kein Geld für Freizeitaktivitäten, Mitgliedsbeiträge von Vereinen oder Urlaub vorhanden ist, und hat einen schlechteren Zugang zu Bildung.

Armutsrisiko

Besonders leicht ereilt die Armut erwerbslose Menschen, alleinerziehende Elternteile oder Zugewanderte. Auch wer einen schlecht bezahlten und unsicheren Job hat, ist besonders armutsgefährdet. Das Risiko, durch soziale Netze zu fallen, ist gestiegen, so die Armutskonferenz: Immer breitere Bevölkerungsschichten leben in instabilen und unsicheren Verhältnissen. Frauen sind stärker von Armut betroffen. Ein Viertel aller Armen sind Kinder, Jugendliche oder von ihren Eltern abhängige unter 26-Jährige. Es gibt in Österreich Kinder, die hungern. Kinder, die über den Tag verteilt ein Salzstangerl essen. Hört man so eine Geschichte, ist es fast nicht verständlich. Verena Fabris: „In die Armut abzurutschen geht schneller als man denkt: Jobverlust, Scheidung oder Krankheit sind Gründe dafür. Ältere allein lebende Frauen, MigrantInnen und AlleinerzieherInnen sind besonders von Armut betroffen.“ Ein Bruch in der eigenen Biografie – plötzlich geht nicht mehr, was sich davor gerade mal so ausging.

Armut ist still

Betroffene reden nicht gern darüber, dass sie kein Geld haben. Sie schämen sich ihrer Armut, auch, weil sie mit Vorurteilen konfrontiert und unter Druck gesetzt werden. Die Aussage, dass jeder, der einen Job sucht, auch einen findet, hält sich fälschlicherweise immer noch. Dazu kommt der Vorwurf des Sozialschmarotzertums.
Laut Armutskonferenz beruhen Wirtshausparolen vom angeblichen Sozialmissbrauch aber auf Vorurteilen und können nicht durch Studien bestätigt werden. Einzelfälle kann es immer geben, die wichtigere Frage sei jedoch, welche Absicht hinter dem scheinbaren Missbrauch steckt. Will sich jemand mit Schwarzarbeit neben dem Bezug von Notstandshilfe tatsächlich bereichern? Oder eher mit prekären Zusatzjobs ein Einkommen zu erzielen, das zum Leben reicht? Schließlich gibt es in Österreich kein Mindest-Arbeitslosengeld, die Höhe von Sozialleistungen wird ohne Bedachtnahme auf die realen Kosten des täglichen Lebens festgesetzt.
Das stellt auch Bernhard Litschauer-Hofer vom Wiener Armutsnetzwerk fest: „Festgehalten werden kann, dass die Entwicklung der Lohneinkommen nicht mit den Preissteigerungen mithalten kann.“ Bemerkbar macht sich Armut auch durch die gestiegenen Zahlen jener, die öffentliche Unterstützung (Bedarfsorientierte Mindestsicherung, BMS) in Anspruch nehmen.
Zudem ist nicht unbedingt der am wenigsten von Armut bedroht, der – bezahlt oder unbezahlt – am schwersten arbeitet. Weltweit haben die ärmsten fünf Prozent in den vergangenen Jahren 25 Prozent ihres Einkommens verloren, während die reichsten fünf Prozent sogar zwölf Prozent dazugewonnen haben. 2,7 Milliarden in Armut lebende Menschen müssen sich genau so viel Ein-kommen teilen wie die 50.000 Reichsten. (Quellen: Sozialbericht, OENB und OECD, via Armutskonferenz)

Was tun gegen „neue“ Armut?

Verena Fabris: „Armut ist oft nicht auf den ersten Blick sichtbar. Vor allem Bildungsinstitutionen und soziale Einrichtungen sind hier gefragt genau hinzuschauen.“ Erwerbsarbeit zu haben ist ein wirksames Mittel gegen Armut, doch längst nicht mehr das einzige. Immer mehr Menschen können trotz Erwerbsarbeit von ihrem Einkommen nicht leben. Daneben sind aus Fabris’ Sicht folgende Maßnahmen wichtig: Eine monetäre Mindestsicherung, die zum Leben reicht, flächendeckende soziale Dienstleistungen wie Kinderbetreuung, Gesundheitsvorsorge und ein Bildungssystem, das sozialer Ungleichheit entgegenwirkt.
Die Bekämpfung von Armut ist letztlich eine Frage der gerechteren Verteilung von Einkommen und Reichtum. Fabris: „Eine Umverteilung durch Einführung von vermögensbezogenen Steuern ist aus Sicht der Volkshilfe unbedingt notwendig.“ Wichtig ist auch, bei Maßnahmen gegen Armut die Armutsbetroffenen selbst in die Entwicklung und Umsetzung einzubeziehen.

Mit Betroffenen auf Augenhöhe

Was kann die bzw. der Einzelne tun? Fabris: „Zunächst einmal geht es darum, Armutsbetroffenen mit Respekt zu begegnen, auf Augenhöhe mit den Menschen zu sprechen, sie nicht schon vorher zu verurteilen. Ein weiterer Schritt ist hinzuschauen: Gibt es in meiner Umgebung Armut? Gibt es Menschen, die Hilfe brauchen, aber sie vielleicht nicht in Anspruch nehmen? Hier kann man an entsprechende Institutionen weitervermitteln. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren. Auch Spenden an eine soziale Organisation sind ein wertvoller Beitrag.“

Armutskonferenz, u. a. Broschüre „Was heißt hier arm?“:
www.armut.at

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