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Krank in die Arbeit Es kommt laut Morschitzky zur kuriosen Situation, dass Kranke zwischen den verschiedensten Stellen wie Ping-Pong-Bälle herumgeschubst werden, zu krank zum Arbeiten, aber nicht krank genug für die Pension.

Krank in die Arbeit

Schwerpunkt

Immer mehr Menschen trauen sich nicht, in Krankenstand zu gehen. Sie haben Angst, den Job zu verlieren oder Mobbing ausgeliefert zu sein. Der Einstieg in die Arbeitswelt wird ihr oft schwer gemacht.

Haaatschi." - "Gesundheit." Beschäftigte schleppen sich zunehmend krank zur Arbeit. Sie haben Angst, gekündigt zu werden und wagen es nicht, Grippe und Co. daheim auszukurieren.
Immer mehr Menschen bleiben nicht daheim, wenn es ihnen schlecht geht, stellt die Arbeiterkammer Oberösterreich im Beratungsalltag fest. Konkret sind das rund 42 Prozent der DienstnehmerInnen, jede/r von ihnen durchschnittlich neun Tage pro Halbjahr, erzählt Präsident Johann Kalliauer. Viele haben Angst um ihren Job - vor allem ArbeiterInnen, die schneller als Angestellte ab- oder angemeldet sind. Beispielhafte Anfrage bei der AK: Ein Arbeitgeber fordert den Arbeiter nach einem Arbeitsunfall auf, der einvernehmlichen Lösung des Dienstverhältnisses zuzustimmen. Oft folgt dabei der Zusatz: Derjenige könne sich melden, sobald er gesund sei. Empfehlung der AK: Nie vorschnell auf eine solche Forderung eingehen - Krankengeld von der Krankenkasse stellt immer einen finanziellen Nachteil im Vergleich zu einem aufrechten Dienstverhältnis dar.

Langfristig denken

Es gibt auch Unternehmen, die kranke MitarbeiterInnen schon mal heimschicken. Viele ArbeitnehmerInnen bekommen aber Dinge zu hören wie: Man solle sich ein Beispiel an der Kollegin nehmen, die nie krank zu Hause bliebe. "Auch Unternehmen wären gut beraten, langfristig zu denken", meint Kalliauer. "Eine übertauchte Grippe führt oft zu einem längeren Ausfall, nur dass vorher noch andere mit dem Virus angesteckt wurden."

Reale Angst vor Krankheit

Weitere Motive, sich nicht zu Hause auszuheilen: falsch verstandene Kollegialität, Pflichtbewusstsein oder bestehender Druck, weil niemand anderer außer dem/der Kranken Termine wahrnehmen kann. Eine Beobachtung, wie sie auch Hans Morschitzky macht: "Die Angst vor dem Kranksein ist eine reale Angst." Der Psychologe und Psychotherapeut beobachtet, wie immer mehr Menschen warnende Anzeichen einer Krankheit verdrängen - bis an einem Krankenstand kein Weg mehr vorbei führt. Bis dahin muss der Leidensdruck aber hoch werden …
Dahinter steckt Angst um die eigene Existenz - im Alter unversorgt zu sein, keine Pension zu bekommen. Ein Arbeitnehmer, der keine Leistung bringt, ist schnell gekündigt. In der nett klingenden Botschaft "Kurier dich daheim aus" schwingt leicht die Warnung mit: "Aber wenn das noch mal passiert, müssen wir uns trennen." Hat man erst einmal beobachtet, wie es Kolleginnen und Kollegen nach langer Krankheit ergangen ist, wagt man selbst nicht mehr zu Hause zu bleiben, auch wenn man sich noch so mies fühlt. Manch eine/r geht nicht mehr zum Arzt, weil sie/er sowieso nicht krankgeschrieben werden will.
Zahlreichen Unternehmen geht es um Profitmaximierung. Viele geben zwar mittlerweile Geld für betriebliche Gesundheitsvorsorge aus, sehen jedoch in kranken und/oder alten DienstnehmerInnen nur einen Kostenfaktor, dessen einfachste Lösung die Kündigung zu sein scheint. Loyalität ist kaum mehr zu finden, wo man früher gute Leute bis zur Pension beschäftigt hat. In einer Zeit, in der jeder auswechselbar geworden ist, macht ein Krankenstand den entscheidenden Unterschied …
Durchschnittlich 13 bis 14 Tage pro Jahr sind die ÖsterreicherInnen im Krankenstand. Hat man einmal den Job wegen Krankheit verloren, spricht sich das herum - die Unternehmen warten lieber auf BewerberInnen ohne chronische Erkrankungen à la Migräne.

Krank oder VerräterIn?

In der heutigen Leistungsgesellschaft sind Stellenpläne vielerorts so knapp kalkuliert, dass die Arbeit nur in Vollbesetzung zu schaffen ist. De facto tritt diese mit Urlauben, Schulungen oder Krankenständen aber nie ein. Es kommt zu Dauerstress.
Viele ArbeitnehmerInnen glauben sich unersetzlich - wer länger als zwei Wochen ausfällt, gilt schnell als nicht belastbar und fühlt sich vor Kolleginnen und Kollegen als VerräterIn. Man will die anderen nicht im Stich lassen, solidarisch sein, statt Dinge zu hören wie "Wir müssen arbeiten, während du in der Hängematte liegst". Die Gefahr von Mobbing seitens der Kolleginnen und Kollegen ist gegeben. "Na, wie lange bleibst du denn diesmal fit?", wird der oder dem Zurückkehrenden aufgelauert.

PensionistInnenparadies Österreich

Österreich galt lange Zeit als Paradies der FrühpensionistInnen. Dem ist aber nicht mehr so. Der Zugang zu Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension wurde massiv erschwert. So kommt es laut Morschitzky zur kuriosen Situation, dass Kranke zwischen den verschiedensten Stellen wie Ping-Pong-Bälle herumgeschubst werden, zu krank zum Arbeiten, aber nicht krank genug für die Pension. Das berührt nach einem Jobverlust existenzielle Ängste, man droht zum Outlaw zu werden, jeden Status zu verlieren, ist aus der Leistungsgesellschaft herausgefallen.
Dass mehr Menschen krank sind, liegt vor allem an den im Steigen begriffenen psychischen Leiden, während körperliche Erkrankungen durch den Fortschritt der Medizin sogar zurückgehen. Erwartungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge werden Depressionen im Jahr 2020 die zweithäufigste Ursache für berufsbedingte Pensionierungen darstellen (nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen). Bedenkt man, dass Burn-out eine Erschöpfungsdepression ist, kann man die Zusammenhänge mit dem Druck am Arbeitsmarkt nicht übersehen.
Und was rät Hans Morschitzky Betroffenen? "Auf sich selbst achten. Die Gesundheit ist das eigene Kapital - ohne diese schwächt man die eigene Position am Arbeitsmarkt."
Kürzlich ließ der ÖVP-Wirtschaftsbund aufhorchen mit dem Vorschlag, der erste Tag im Krankenstand solle nicht mehr bezahlt werden. Die Empörung war groß, die Idee wurde abgeschmettert. "Das ist das völlig falsche Signal!", sagt Andrea Schmidbauer von der Beratungseinrichtung fit2work. Die Psychotherapeutin ist seit vielen Jahren in der beruflichen Integration tätig. "So eine Aussage macht Menschen, die sowieso schon unter Druck stehen, noch mehr Angst. Sie haben das Gefühl, immer strenger kontrolliert und misstrauisch betrachtet zu werden." Man traue sich dann nicht mal mehr, eine verschleppte Verkühlung auszukurieren.

Zusammenbruch am Wochenende

Für jene, die nicht mehr weiter können, stellt fit2work eine Anlaufstelle dar. Vielfach betrifft ein Zusammenbruch Menschen, die hohe Ansprüche an sich stellen, die die Belastung zwar lange spüren, allerdings ihre eigenen Grenzen nur schwer respektieren und nicht daheim bleiben. Arbeitspausen verschwinden, aufgrund von Umstrukturierungen können sich kaum noch Teams bilden. Trotzdem wird sofort Leistung erwartet. So manchen Menschen gelingt der Umgang mit den häufigen, schnellen Veränderungen immer weniger, sie haben Angst, nicht mehr mitzukommen und werden schließlich krank. Schmidbauer kennt aus ihrer therapeutischen Praxis Menschen, die nur am Wochenende zusammenbrechen, am Montag aber wieder arbeiten.
Die Beratung von fit2work richtet sich nicht nur an Menschen, die krankgeschrieben sind, sondern auch an alle anderen, die merken: "Ich gehe nur mit großer Überwindung zur Arbeit." Wichtig sei dabei, so Schmidbauer, die subjektive Wahrnehmung, dass etwas aus dem Lot geraten ist.

Schritt für Schritt

fit2work nimmt als Drehscheibe eine Bestandsaufnahme vor und empfiehlt weitere Schritte: medizinische oder psychische Rehabilitation, eine Veränderung am Arbeitsplatz selbst oder vielleicht ein Umstieg auf Teilzeit. Arbeitsassistenz unterstützt dabei, mit dem Stress umgehen zu lernen.
Bietet sich eine berufliche Neuorientierung an, kann eine solche Ausbildung mitunter durch die Pensionsversicherung finanziert werden. Ziel ist es, dass Menschen länger arbeitsfähig bleiben und später in Pension gehen können - und den momentanen Zustand nicht als Endstation begreifen. Es gilt, sich die Welt Schritt für Schritt zurückzuerobern …

Internet:
Mehr Infos unter: www.fit2work.at 

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin anni.buerkl@texteundtee.at oder die Redaktion aw@oegb.at 

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