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Fantastischer Realismus Der Kommunismus als das antikapitalistische Experiment schlechthin ist ohne Zweifel auf der Strecke geblieben. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Die Planwirtschaft erwies sich als zu unflexibel, um die Bedürfnisse der BürgerInnen zu decken.

Fantastischer Realismus

Schwerpunkt

Eisern sparen - so lautet ein nicht gerade einfallsreiches Konzept gegen die Wirtschaftskrise. Gibt es keine Alternativmodelle?

Die Weltwirtschaft geht unbestritten durch die schwierigsten Zeiten seit den 1930er-Jahren. Als Lösung wird ein harter Sparkurs der öffentlichen Haushalte propagiert, soziale Verwerfungen werden dabei offensichtlich in Kauf genommen. Als "solidarischer Ausgleich" könnten eventuell eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und/oder verschiedene Formen der Vermögensbesteuerung dienen - so die gängigen Denkmodelle. Aber ist es wirklich möglich mit ein paar Milliarden Euro Mehreinnahmen und Ausgabenkürzungen eine ausgewachsene Systemkrise zu bereinigen? Statt "kosmetischen Operationen" sind vielleicht radikale Änderungen unseres Wirtschaftslebens notwendig, um nachhaltige Lösungen zu finden. Welche Alternativen bieten sich?

Schlag nach bei Marx

Der Kommunismus als das antikapitalistische Experiment schlechthin ist ohne Zweifel auf der Strecke geblieben. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Die Planwirtschaft erwies sich als zu unflexibel, um die Bedürfnisse der BürgerInnen zu decken. Mangelwirtschaft und stark eingeschränkte Meinungsfreiheit führten zu steigender Unzufriedenheit. Weiters wurde die Eigeninitiative des Individuums unterdrückt, was erstens die Frustration erhöhte und zweitens zu wirtschaftlichem Siechtum führte. Letztlich scheiterte der Kommunismus auch daran, dass mit unterschiedlichen Mitteln die gleichen materiellen Ziele verfolgt wurden wie im Kapitalismus: hohes Wirtschaftswachstum, steigende Produktivität und Wohlstand für die Bevölkerung. Hier erwies sich der Kapitalismus als erfolgreicher - allerdings auch nur, weil ArbeiterInnenbewegung, Sozialdemokratie und Gewerkschaften innerhalb des kapitalistischen Systems Elemente des sozialen Ausgleichs durchsetzten und für steigenden Wohlstand der breiten Massen sorgten. Also ist das effektivste Wirtschaftssystem doch das bereits bestehende in Form einer sozialen Marktwirtschaft? Dann ginge es darum, die Fehler im System zu korrigieren, wobei viele BeobachterInnen meinen, der in den 1980er-Jahren aufgekommene Neoliberalismus müsse eingedämmt werden. Dazu gibt es vielfältige Vorschläge, die nicht utopisch, allerdings aufgrund bestehender Machtverhältnisse schwer zu realisieren sind: So fordert etwa die kapitalismuskritische NGO Attac dazu auf, Banken durch strengere Regulierungen auf ihre Kernaufgaben - die Verwaltung von Einlagen und die Kreditvergabe für die Realwirtschaft - zu beschränken. Für Banken, die auch Investmentbanking betreiben, soll es keinerlei staatliche Garantien oder Hilfen mehr geben. Die Argumentation: Banken haben die aktuellen gesamtökonomischen Probleme wesentlich mitverschuldet. "Wenn es nicht gelingt ihre riskanten Geschäftspraktiken zu regulieren, sollten die Banken restrukturiert - sprich zerteilt - werden", so Christian Felber von Attac Österreich.
Eine weitere Forderung von Attac: Das Lissabon-Ziel der EU, im globalen Wettbewerb Sieger zu sein, muss aufgegeben werden. Denn entweder bleibe man selbst im Hintertreffen, mit allen verbundenen Entbehrungen, Ängsten und Stress, oder man zwinge die anderen in diese Position. In einem bereits sechs Jahre alten Grundsatzpapier von Attac heißt es dazu: "An die Stelle des Wettbewerbs gehört Kooperation zwischen Staaten. Die 'Sieger‘ des Binnenmarktes und der Globalisierung - Vermögen, Gewinne und Kapitaleinkommen - müssen wieder fair besteuert und für soziale Sicherheit, ökologische Investitionen und EU-interne Nachbarschaftshilfe fruchtbar gemacht werden."

Finanzmärkte entthronen

Ein wesentliches Element der fairen Besteuerung könnte eine Abgabe auf internationale Finanztransaktionen (Aktien-, Devisenhandel etc.) bilden. Unterschiedlichen Berechnungen zufolge könnte so eine Besteuerung alleine innerhalb der EU jährliche Einnahmen von 110 bis 250 Mrd. Euro in die leeren Staatskassen spülen. Dass die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auch auf höchster EU-Ebene bereits heiß diskutiert wird, zeigt, dass es sich hier um kein Konzept realitätsfremder "Gutmenschen" handelt. Utopisch erscheint dieser Weg nur, solange der Lobbyismus der Finanzindustrie hier einen Riegel vorschiebt. Die Finanzmärkte müssten also entthront werden, wie realistisch das ist, wird die Zukunft weisen. Prinzipiell geht es ohnedies nicht darum, den Kapitalismus abzuschaffen, sondern sinnvolle Umgestaltungsmöglichkeiten beziehungsweise Ergänzungen zu finden. Eine Möglichkeit bietet die Wiederentdeckung des Genossenschaftssektors. Die Grundidee: Wirtschaftstreibende oder KonsumentInnen schließen sich zusammen, um gemeinsam ein Unternehmen zu betreiben, das auf sozialen und wirtschaftlichen Ausgleich der Mitglieder abzielt. Der Raiffeisen-Sektor und die Volksbanken beruhen auf diesem Grundprinzip, sie haben sich aber von den Idealen ihrer Gründerväter bereits weit entfernt.

Seit 1943 Mondragón

Doch es gibt auch Beispiele für gut funktionierende Genossenschaftsstrukturen. An erster Stelle ist hier Mondragón zu nennen. Im Jahre 1943 in der gleichnamigen spanischen Kleinstadt vom Priester José María Arizmendiarrieta ursprünglich als Lehrinstitut gegründet, wuchs Mondragón als Industriekooperation zu einem Konzern mit über 100.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 15 Mrd. Euro. Seit 1997 betreibt Mondragón eine eigene Universität mit drei Fakultäten. Trotz der Größe haben die Mondragón-Genossenschaften ihre Ideale bewahrt. Die Beschäftigten sind MiteigentümerInnen, Arbeit und Lebensqualität haben Vorrang vor den Interessen des Kapitals. Mitbestimmung und Teilhabe werden gelebt: Der Vorstand wird alle vier Jahre von der Generalversammlung, also den Arbeiterinnen und Arbeitern, gewählt. Das höchste Einkommen beträgt maximal das Sechsfache des niedrigsten. Damit liegen die unteren Gehaltsstufen über denen anderer Unternehmen, die Führungsetage verdient hingegen viel weniger als in Betrieben ähnlicher Größenordnung.

Geld mit Ablaufdatum

Alternative Wege innerhalb des kapitalistischen Systems sind also nicht nur denkbar, sondern durchaus erfolgreich realisierbar. Wie sieht es nun aber mit Alternativen zur Grundlage des modernen Wirtschaftssystems selbst aus: dem Geld. Die Idee für ein revolutionäres Geldsystem ist alles andere als neu: Der Sozialreformer Johann Silvio Gesell (1862-1930) stellte folgende Überlegung an: Geld zu "horten" ist schlecht, Geld dient nur dem Wirtschaftskreislauf, wenn es schnell wieder ausgegeben wird. Ansonsten profitieren lediglich die GeldbesitzerInnen, die Geld zurückhalten können, dieses somit der Realwirtschaft entziehen und die Preise von Waren zu ihren Gunsten manipulieren. KapitalistInnen selbst profitieren wiederum ohne Leistung von den Krediten, die sie vergeben. Als Alternative schlägt Gesell die Ausgabe von sogenanntem Freigeld vor. Dieses weist ein Ablaufdatum auf, es verliert also immer mehr an Wert, solange es nicht ausgegeben wird. Gesells nicht unumstrittene Schlussfolgerung: GeldbesitzerInnen werden ihr Kapital nicht "einbunkern", sondern für Waren und Dienstleistungen verwenden, um der Wertminderung zu entgehen. Geld fließt somit ausschließlich in die Realwirtschaft, Kredite werden ohne Verzinsung vergeben, weil man ja das an Wert verlierende Geld loswerden will. Diese Theorie mag fantastisch klingen, in der Realität existieren solche Konzepte aber in Form von "Regionalwährungen". So hat es zum Beispiel der Waldviertler zu einiger Berühmtheit gebracht. Er ist in Wirklichkeit keine eigene Währung, sondern stellt ein legales, vereinsinternes Gutscheinsystem dar, dem sich nun Betriebe anschließen können. Die KonsumentInnen tauschen Gutscheine 1:1 zum Euro und kaufen damit bei den teilnehmenden Unternehmen ein. Die Gutscheine sind immer bis zum Ende eines Quartals gültig und können gegen eine geringe Gebühr (zwei Prozent) erneuert werden. So bleibt der Waldviertler im Fluss und soll die regionale Wirtschaft ankurbeln.
Inwieweit sich die hier vorgestellten Modelle durchsetzen werden, sei dahingestellt. Über Alternativen darf allerdings nachgedacht werden. Frei nach dem Motto: Lass nicht dein Geld, sondern dein Hirn für dich arbeiten.

Internet:
Mehr Infos unter:
www.attac.at 
www.waldviertler-regional.at 
diealternativewirtschaft.at 
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
haraldkolerus@yahoo.com 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

Buchtipp
Silvio Gesell
Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld
Gauke Verlag, 2008, 412 Seiten, EUR 25,70 ISBN 978-3-8799-8421-3
Bestellung:
ÖGB-Fachbuchhandlung, 1010 Wien, Rathausstr. 21, Tel.: (01) 405 49 98-132
fachbuchhandlung@oegbverlag.at 

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