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Weiße Weste gesucht Der Wettbewerb um kritische KosumentInnen ist voll im Gange, die Branche betont gekonnt kleine Verbesserungen Richtung Nachhaltigkeit oder soziale Verantwortung. Shirts aus Bio-Baumwolle finden sich mittlerweile sogar im Sortiment großer Textilketten.

Weiße Weste gesucht

Schwerpunkt

Sind Transparenz, Nachhaltigkeit und Bio kurzlebige Trends in der Mode, oder können kritische KonsumentInnen auf bleibende positive Veränderungen hoffen?

Vorher: Übermüdete, unterbezahlte TextilarbeiterInnen, die sechs Tage pro Woche jeweils bis zu 16 Stunden an den Nähmaschinen in stickigen, heißen Hallen sitzen; zum Teil verlassen sie ihren Arbeitsplatz nicht einmal zum Schlafen, sondern legen sich dort einfach auf den Boden. Sozialleistungen gibt es kaum, Gewerkschaften kennt man nur vom Hörensagen. Nachher: Der Wettbewerb um die kritischen KosumentInnen ist voll im Gange, die Branche betont gekonnt kleine Verbesserungen Richtung Nachhaltigkeit oder soziale Verantwortung. Shirts aus Bio-Baumwolle finden sich mittlerweile sogar im Sortiment großer Textilketten.

Todschick 

Im Herbst 2010 begann die Clean Clothes Kampagne (CCK) mit einer großen internationalen Kampagne gegen sogenannte Killer-Jeans: Beim Sandstrahlen, das Jeans den angesagten Used-Look verpasst, entsteht gesundheitsgefährdender feinster Staub, der zur gefürchteten Lungenkrankheit Silikose führen kann. Die ersten in der Türkei bekannt gewordenen Silikosefälle waren zwei Jugendliche, die im Alter von 13 und 14 Jahren als Sandstrahler begonnen hatten und fünf Jahre danach an Silikose starben. Allein in der Türkei sind über 1.200 Erkrankungs- und 46 Todesfälle bekannt. Mittlerweile haben mehr als 20 Firmen die Sandstrahltechnik für ihre Produkte verboten. "Zwar ist es ein erster Teilerfolg, dass viele Unternehmen ein öffentliches Sandstrahlverbot erlassen haben", so Philip Doyle von Clean Clothes Campaign, "doch darf das Engagement nicht dort aufhören. Firmen müssen jetzt mit geeigneten Maßnahmen das Verbot lückenlos durchsetzen. Und sie müssen Verantwortung für bereits erkrankte ArbeiterInnen übernehmen. So weit geht bis jetzt noch kein Unternehmen." Alternativen zur gefährlichen Sandstrahltechnik gibt es: der Used- oder Vintage-Look kann auch mit Hilfe von Laserstrahlen erzielt werden, und die Universität Innsbruck hat kürzlich eine Paste entwickelt, mit der Jeans entsprechend gestylt werden können. Ein spezielles Label, damit KonsumentInnen jene Jeans, die ohne Sandstrahltechnik produziert wurden, leicht erkennen können, gibt es allerdings nicht. Eine Firmenliste ist unter auf der Website von CCK abrufbar.

Theorie und Praxis

Nicht immer können sich bewusste KonsumentInnen auf die Aussagen der Unternehmen verlassen: Der Diskonter Lidl warb damit, Mitglied bei der Business Social Compliance Initiative (BSCI) zu sein, durch die bestimmte Sozialstandards bei den Lieferanten gesichert werden sollten. Eine 2010 veröffentlichte Studie der Clean Clothes Kampagne zeigte aber klare Verstöße gegen die ILO-Konventionen, gegen den Verhaltenskodex von BSCI sowie gegen Lidls eigenen Verhaltenskodex in vier Zulieferbetrieben in Bangladesch. Die befragten NäherInnen berichteten von überlangen Arbeitszeiten, Lohnabzügen als Strafmaßnahmen, mangelnden und intransparenten Vergütungen von Überstunden, Verhinderung von Gewerkschaftsarbeit sowie Diskriminierung von weiblichen Beschäftigten. Firmeneigene, nicht von unabhängigen Organisationen erarbeitete und überprüfte Verhaltenscodes sind zum Teil Flickwerk, weil wichtige Punkte wie etwa das Recht auf Gewerkschaften oft fehlen. Nicht selten werden diese Druckwerke dann weder in die jeweilige Landessprache übersetzt noch für die ArbeiterInnen sichtbar ausgehängt. Ob Versprechen gehalten werden, ist mitunter sehr schwer nachvollziehbar. Die Zulieferer der großen Firmen stehen unter großem Druck: Per Internet werden die Aufträge für ein Kleidungsstück manchmal innerhalb einer Stunde an den Billigstbieter vergeben.
In "Das neue Schwarzbuch Markenfirmen" kritisieren die Autoren erneut, dass theoretisch positive Veränderungen sich auf die ArbeiterInnen unter Umständen negativ auswirken. Die Markenfirmen schmücken sich mit Verbesserungen, der (finanzielle) Druck, der dadurch entsteht, wird in der Regel an die kleinen Zulieferfirmen weitergegeben. Wer draufzahlt, ist dann das schwächste Glied der Textilkette, die ArbeiterInnen. Ähnlich verhält es sich im Übrigen bei Boykottmaßnahmen.

57 Unternehmen im Check

CCK bietet auf seiner Website einen Firmencheck, für den europaweit 57 Markenfirmen (Fashion & Outdoor) befragt wurden, was sie gegen Ausbeutung ihrer ArbeiterInnen unternehmen. Nur drei Unternehmen wurden als "fortgeschritten" eingestuft. Der große Knackpunkt, wo so gut wie alle Unternehmen Zusagen verweigern, ist die Bezahlung. Natürlich ist es schon ein Fortschritt, wenn Firmen zusichern, ihren ArbeiterInnen den gesetzlichen Mindestlohn zu bezahlen. Allerdings liegt dieser in vielen Ländern deutlich unter dem Existenzminimum! Für Asien kämpft die Asia Floor Wage Alliance (AFW) seit 2009 für existenzsichernde Löhne in der Textilbranche. In letzter Zeit hat sich die Situation für die - zu 80 Prozent weiblichen - ArbeiterInnen durch das starke Ansteigen der Lebensmittelpreise noch verschärft. Manche geben die Hälfte ihres Monatslohns für Essen aus. Die AFW hat berechnet, dass etwa in Bangladesch das existenzsichernde Einkommen um 85 Prozent über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen müsste. Derzeit liegt der Lohnkostenanteil in den traditionellen Billiglohnländern derzeit ca. bei 0,5 bis drei Prozent, in Deutschland bei 40 Prozent.

Aufsteiger China

Allerdings: Sobald in einem Land die Löhne steigen, wird es zwar als Absatzmarkt interessanter, verliert aber seine Attraktivität als Produktionsstätte. Nachdem etwa in China auch in ländlichen Gegenden die Löhne im vergangenen Jahr zum Teil um mehr als zehn Prozent gestiegen sind, schließen immer mehr Unternehmen ihre Fabriken. Sie wandern weiter nach Indien, Vietnam oder auf die Philippinen - ein paar Hundert Nähmaschinen zu transportieren ist schließlich auch kein allzu großer Aufwand.
Last but not least: Eine eher ungewöhnliche Kampagne zum Thema nachhaltig produzierte Textilien startete Ende vorigen Jahres Attac: Da wurde bekannt, dass das 1976 gegründete Öko-Versandhaus hessnatur von der US-amerikanischen Carlyle Group übernommen werden soll, die zu den weltweit größten Private Equity Gesellschaften zählt und unter anderem in der Rüstungsindustrie aktiv ist. Nach einer Protestaktion wurde schließlich ein genossenschaftliches Alternativkonzept für hessnatur entwickelt.

Internet:
Homepage der Südwind-Agentur:
www.suedwind-agentur.at 
Schreiben Sie Ihre Meinung
an die Autorin
afadler@aon.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 
 

Info&News
Made in Austria
Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat die österreichische Textilindustrie viel an Substanz eingebüßt, Traditionsbetriebe mussten zusperren oder wurden von ausländischen Unternehmen übernommen. Allein in Vorarlberg sind seit 1960 mehr als 13.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Die Zahl der Textilbetriebe ist fast auf die Hälfte geschrumpft. Viele setzen heute vor allem auf technische Textilien, wie etwa Schläuche oder Gurte für die Auto- und Flugzeugindustrie, aber auch Medizintextilien. Als besonders zukunftsträchtig gelten Smart Textiles wie lebensrettende Sensorbekleidung oder Wohntextilien, die die Farbe verändern können.
Im vergangenen April plädierte Gerald Kreuzer, zuständiger PRO-GE-Sekretär und Vizepräsident des Europäischen Gewerkschaftsverbandes Textil, Bekleidung, Leder (ETUC:TCL) für eine verpflichtende "Made in"-Kennzeichnung bei Textilien, nicht zuletzt um dem Trend zu fairen und regionalen Produkten gerecht zu werden: "Die KonsumentInnen sollen auch bei Bekleidungs- und Textilprodukten, mit denen man fast 24 Stunden am Tag in Berührung ist, nachvollziehen können, woher diese kommen." In den USA gibt es diese Kennzeichnungspflicht, beim ETUC:TCL (64 Gewerkschaftsverbände aus 32 Ländern) steht die entsprechende Forderung auf der Prioritätenliste.
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