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Streiks in Österreich, eine bloß theoretische Größe? In Österreich gibt es keine konkreten Regeln für Streiks. Das ist gut so. Wenn ein Streik notwendig wird, muss der Mitteleinsatz möglichst frei bleiben, damit er seine dynamische Wirkung gegenüber den DienstgeberInnen entfalten kann.
Buchtipp

Streiks in Österreich, eine bloß theoretische Größe?

Internationales

Seit dem Lissabon-Vertrag und der Grundrechtecharta(GRC) ist Umdenken gefragt.

Die beiden Urteile Viking und Laval des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus 2007 waren ein Schuss vor den Bug der Gewerkschaftsbewegungen - einmal ging es um einen Seeleute-Streik wegen Umflaggens eines Schiffs, und einmal um schwedischen Boykott gegen eine lettische Baufirma wegen Kollektivverträgen. Damals schränkte der EuGH die Freiheit der ArbeitnehmerInnen zu streiken durch Anwendung der EU-Marktfreiheiten ein. Diese beiden Rechte seien gegeneinander abzuwägen und ins Verhältnis zu setzen. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hoben die EU-Mitgliedsstaaten eine Vielzahl von Grundrechten auf eine rechtliche Ebene mit den Marktfreiheiten, darunter auch jenes zu streiken. Die EU-Verträge übernahmen damit bisheriges RichterInnenrecht. Die sozialen Grundrechte stehen nicht länger unter den liberalen Marktfreiheiten. 

Grundrechte international 

Die GRC und die weiteren Reformen des Vertrags von Lissabon wurden als Europa-Recht für die gesamte EU mit 1. Dezember 2009 gültig. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Grundrechte-Situation in Österreich. Vor allem die sozialen Grundrechte sind dadurch hierzulande gestärkt. Weitere internationale Grundrechtsgarantien lassen mittelbar oder unmittelbar die Ableitung eines Streikrechts zu. Dazu zählen etwa die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Österreich im Verfassungsrang steht, die Europäische Sozialcharta (ESC) und das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, die Österreich ratifizierte. Durch die GRC auf EU-Ebene und durch die Garantien des österreichischen Verfassungsrechts gibt es heute eine verzahnte Grundrechtsverbürgung auf mehreren Ebenen.

Situation in Österreich 

Der von mir verfasste und im ÖGB-Verlag erschienene Beitrag "Das Ende des Streikrechts? Grundrechte versus Marktfreiheiten" analysiert sowohl auf rechtswissenschaftlicher als auch rechtspolitischer Ebene die verschiedenen Grundrechtsgarantien bezogen auf die österreichische Situation. Neben der Zusammenfassung der nationalstaatlichen Vorgaben zum Arbeitskampf und Darstellung der rechtlichen Grundlagen von Streiks, werden ihre zivilrechtlichen Folgen behandelt; insbesondere auf Ebene des Arbeitsverhältnisses, wie etwa im Bereich der Entgeltfortzahlung und Schadenersatz. Auch ein Blick über die Grenzen lohnt sich, scheut der EuGH bei der Bewertung der Rechtslage den Ländervergleich nicht.
Der Schwerpunkt des Beitrags beleuchtet den Widerspruch zwischen den wirtschaftlichen Freiheiten der EU (Marktfreiheiten) und den sozialen Grundrechten. Dabei darf eine Analyse der Rechtsprechung des EuGH nicht fehlen. Durch die starke Wirkung der internationalen Grundrechte kann man nun auch in Österreich von einem Recht zu streiken ausgehen. In Österreich gibt es keine konkreten Regeln für Streiks. Das ist gut so. Wenn ein Streik notwendig wird, muss der Mitteleinsatz möglichst frei bleiben, damit er seine dynamische Wirkung gegenüber den DienstgeberInnen entfalten kann. Keinen Sinn macht es, diese Fragen vor Gerichten zu klären, steht doch hinter jedem Arbeitskampf das Ziel, zu einer Einigung zu kommen.

Und die Gewerkschaften?

Die Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene hat Auswirkungen auf die österreichische Gewerkschaftsbewegung. Die ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen können nun noch selbstbewusster handeln, weil österreichische Gerichte die EuGH-Rechtsprechung berücksichtigen müssen. Die konsensorientierte Position bei Kollektivvertragsverhandlungen ist nach wie vor ein Vorteil, der Österreich zu Recht als hervorragenden Investitionsstandort auszeichnet. Aber nicht um jeden Preis muss der Arbeitsfrieden gewahrt werden, wie andere EU-Staaten in guter Tradition zeigen. Daraus ergibt sich auch für BetriebsrätInnen ein vergrößerter Handlungsspielraum. Viele Faktoren einer Streikanbahnung bleiben immer noch ungeregelt und somit dynamisch der jeweiligen Situation anpassbar. Die Position der BetriebsrätInnen als ArbeitnehmerInnenvertretung im Betrieb, ist durch den Grundrechtsschutz im Fall der Fälle zu streiken gestärkt. Gerade der Spannungsbogen zwischen Versammlungs- und Meinungsfreiheit zum Streikrecht ist ein interessantes
Thema auf betrieblicher Ebene.
Ein neues Ziel muss sein, auch den Streik als grenzüberschreitende Option zu verankern. Damit können die Gewerkschaften in einer gesamteuropäischen Wertegemeinschaft erfolgreich die Interessen der ArbeitnehmerInnen geltend machen. Diese Gemeinschaft entwickelt sich über eine Wirtschaftsunion hinaus, etwa durch grenzüberschreitende Kollektivverträge und durch den "Sozialen Dialog". Fragen wie Lohn- und Sozialdumping spielen genauso eine Rolle wie Mindeststandards in der sozialen Sicherheit. Eine Koordination durch die Gewerkschaftsbewegung auf europäischer Ebene in der Gewerkschaftsbewegung ist dazu notwendig.

Arbeitsmarktöffnung im Mai 2011

Diese Gedanken spielen bei der bevorstehenden Öffnung des Arbeits- und Dienstleistungsbereichs für die neuen EU-Mitgliedsstaaten mit 1. Mai 2011 eine Rolle. Der Anspruch an die Gesetze sollte nicht sein, dass das niedrigste Niveau (etwa beim Lohn) das Maßgebliche ist, sondern das Beste. Ein Schutz vor Lohn- und Sozialdumping wurde in Österreich auf Gesetzesebene verankert. So soll verhindert werden, dass ArbeitnehmerInnen unterkollektiv entlohnt werden. Als Sanktion sind Verwaltungsstrafen und das Verbot für DienstleisterInnen in Österreich tätig zu werden vorgesehen.

Rechtssache Laval

Das führt zurück zum Ausgangspunkt dieses Beitrags. In der Rechtssache Laval hatte ein lettisches Unternehmen einen Bauauftrag in Schweden durchgeführt, ohne den schwedischen Kollektivvertrag einzuhalten. Die lettischen ArbeitnehmerInnen wurden unterkollektiv entlohnt.
Dies rief die schwedischen Gewerkschaften auf den Plan, die letztendlich einen Boykott als Arbeitskampf über die lettische Baufirma verhängten. Eine solch sensible Beobachtung der ausländischen Firmen ist auch in Österreich wünschenswert. Zum einen übernehmen öffentliche Stellen diese Aufgabe, zum anderen sind gerade in dem sich schnell verändernden Gebiet der Baudienstleistungen die Gewerkschaften gefordert, unfaire Methoden der Preisreduktion zulasten der ArbeitnehmerInnen zu boykottieren.
Die EU bietet zahlreiche Möglichkeiten zum Austausch zwischen den Interessen-Verbänden. In der "europäische SozialpartnerInnenschaft" kann der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) Vorteile für ArbeitnehmerInnen europaweit ausverhandeln. Gerade die österreichische Gewerkschaft verfügt in diesem Bereich über wertvolle, jahrelange Erfahrungen, die helfen können, sinnvolle Kompromisse auf europäischer Ebene zu schließen.

Soziale Vernetzung ist wichtig

Im Auge behalten sollte man, dass der der EuGH die Harmonisierung und gegenseitige Anerkennung etwa von Ausbildungen oder Ansprüchen gegenüber dem Sozialstaat vorantreibt.
Durch diese soziale Vernetzung verliert die EU immer mehr die neoliberale Ausrichtung. Gut zu wissen ist dabei freilich, dass die Möglichkeit der Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnen sich zu wehren, durch zahlreiche Grundrechtsdokumente anerkannt ist. Eine Entwicklung, die die Vorteile einer kämpferischen Gewerkschaftsbewegung und die Effektivität einer konsensualen SozialpartnerInnenschaft in Österreich vereint.

Internet:
EGB-Themenseite zu den Urteilen (englisch)
www.etuc.org/r/846 
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
florian.burger@akwien.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

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