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Arbeiter zwischen Unternehmen und Regierung

HINTERGRUND

Weltweit steigen die Verletzungen der Gewerkschaftsrechte. Regierungen und Unternehmen sehen in Gewerkschaften ein Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung. Der IBFG-Jahresbericht 2004 dokumentiert die Situation in 134 Ländern.

Österreich kommt nicht vor. Kolumbien schon, auch Haiti und Burma, der Nahe Osten sowieso, wo mehr als in anderen Regionen deutlich wird, wie sich das politische Klima unweigerlich auf die Gewerkschaftsrechte auswirkt. Aber auch Beispiele aus den USA, Deutschland und selbst der Schweiz zeigen: Die Verletzung von Gewerkschaftsrechten ist im Steigen. Das belegt der Jahresbericht des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG), der detailliert die Lage in 134 Ländern im Jahr 2003 schildert. »Die Art der Rechtsverletzungen hat sich in den letzten Jahren geändert«, schreibt IBFG-Generalsekretär Guy Ryder im Vorwort des 338-seitigen Berichtes, der auch im Internet zugänglich ist (www.icftu.org).

Weniger Tote

Zwar gibt es weniger tote Gewerkschafter (weltweit wurden 129 im Berichtsjahr 2003 statistisch erfasst), dafür nehmen die Rechtsverletzungen »subtilere« Formen an. Viele Regierungen behindern die Bildung von Gewerkschaften oder die Abhaltung von Streiks durch komplizierte Verfahren. Arbeitgeber setzen sich über anerkannte Rechte hinweg bzw. werden Rechte von den Regierungen nicht in Kraft gesetzt. Daneben gibt es die »spezifischen« Fälle, wie Entlassungen wegen Organisierung eines Streiks, Einschüchterungen, Verhaftungen oder Inhaftierungen.

Als einen der Hauptgründe für die Zunahme der Rechtsverletzungen ortet Guy Ryder die »von einer neoliberalen Agenda gesteuerte Globalisierung der Wirtschaft auf Kosten der Arbeitnehmerrechte. Viele Regierungen, die am globalen Markt Fuß fassen wollen, sehen in den Gewerkschaften ein Hindernis für ihre wirtschaftliche Entwicklung«.

In anderen Worten: Arbeiten ohne zu mucken, um 20 Cent die Stunde, wie in afrikanischen Freien Exportzonen (FEZ) oder um einen Dollar pro Tag, wie bei den emsigen Chinesen. Mangels Alternativen zum Überleben erdulden das die meisten Arbeitnehmer im ungelernten Arbeitssektor der Welt. Vor Verletzung ihrer gewerkschaftlichen Rechte ist aber keine Branche und Sparte, ob Lehrer, Beamte oder Exekutivkräfte, gefeit.

Schweigen

Pro Kontinent werden im IBFG-Bericht die Gesetzgebung, deren praktische Umsetzung der einzelnen Länder und die eklatantesten Fälle von Arbeitsrechtsverletzungen aufgelistet. Eingeräumt wird auch, dass täglich Rechtsverletzungen begangen werden, über die nie berichtet wird und angesichts gewerkschaftsfeindlicher Rahmenbedingungen den Arbeitnehmern nur das Schweigen bleibt.

Nicht geschwiegen haben Textilarbeiterinnen in der ugandischen Fabrik Tri-Star Appeal in Bugolobi, einem Vorort der Hauptstadt Kampala. Viele der rund 1000 Beschäftigten kommen von außerhalb, sie dürfen kostenlos in den fabrikeigenen Schlafsälen übernachten, bekommen Essen und 20 Cent Stundenlohn. Das Unternehmen beschäftigt vorrangig Frauen und exportiert seine Produkte gemäß den Bestimmungen einer US-Präferenzhandelsinitiative zollfrei in die USA. Selbst im Parlament von Uganda waren die Misshandlungen von Beschäftigten und das Verbot, während der Arbeitszeit zur Toilette zu gehen, besprochen worden.

Genug vom Hungerlohn

Vier Monate später, im Oktober 2003, hatten die Arbeiterinnen genug von Hungerlohn und Repressalien. Sie traten in einen Streik, der von der Einsatzpolizei, die die Schlafsäle der Frauen stürmte, beendet wurde. 265 der Frauen wurden entlassen. Die ugandische Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeitergewerkschaft erwirkte immerhin eine Verfügung, die dem Unternehmen Entlassungen ohne Auszahlung der entsprechenden Leistungen untersagte. Die Reaktion von Präsident Yoweri Kaguta Museveni gilt unter Gewerkschaftern als bezeichnend für die Komplizenschaft afrikanischer Regierungen mit den multinationalen Wanderfabriken, die den Billigarbeitskräften hinterher ziehen. »Das Mädchen«, so Museveni - der dereinst in einem niederösterreichischen Dorf die ugandische Verfassung in der Hinterstube einer Gaststätte ausgearbeitet hatte - über eine der gefeuerten Streikenden, »wurde entlassen, weil ihr Handeln Investoren abschrecken könnte.« Der Unternehmenschef, der aus Sri Lanka stammende Vellupillai Kananathan, bezeichnete die Aktion als »Säuberung von Saboteuren«.

Eines der vier Hauptziele der Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (NEPAD) liegt in der uneingeschränkten Integration Afrikas in die globale Wirtschaft. »Die Arbeitnehmer werden aber nur als Ware betrachtet und nicht als Menschen mit Grundrechten«, heißt es in dem - zum Großteil von der Chefredakteurin und Autorin Sara Hammerton-Clarke verfassten - IBFG-Bericht.

Immer wieder wird die Unterdrückung von Streiks mit wirtschaftlichen Erwägungen begründet. Die Regierungen von Algerien, Mauritius und Burundi sind befugt, Streiks zu verbieten, die der Wirtschaft des Landes schaden könnten. Unzählige Arbeitnehmer haben wegen eines Streiks ihren Arbeitsplatz verloren. Allein in Simbabwe wurden 2800 Postbedienstete wegen Beteiligung an einer Boykottaktion entlassen.

Täter: Multis

Die Missachtung der Rechte in den FEZ, den Freien Exportzonen, ist in Afrika besonders drastisch. In Marokko nennt der IBFG die multinationalen Unternehmen als schlimmste Täter, die von der Regierung unterstützt werden. Als der marokkanische Gewerkschaftsdachverband UMT (eine IBFG-Mitgliedsorganisation) dem Gouverneur der Stadt Salé feindliche Angriffe auf Gewerkschafter in einer Fabrik des irischen Konzerns »Fruit of the Loom« meldete, stellte der sich auf die Seite der Betriebsleitung. Er dulde keine Gewerkschaft in seiner Präfektur.

Neben den wirtschaftlichen »Erwägungen« zeigen auch die Nachkriegswirkungen Folgen für die Achtung der Gewerkschaftsrechte. Etwa in Ruanda, dessen Gewerkschaftsdachverband allerdings von einigen Verbesserungen, etwa einem konstruktiven sozialen Dialog mit der Regierung, berichtet.

Asien

In der asiatisch-pazifischen Region ist die häufigste Form gewerkschaftsfeindlicher Unterdrückung die Entlassung. Das große Arbeitskräftereservoir erleichtert es den Unternehmen auch, Massenentlassungen vorzunehmen und durch neue, billige Kräfte zu ersetzen. Insgesamt verloren im Lauf des Jahres über 353.128 Beschäftigte ihre Arbeit, weil sie sich für Gewerkschaftsrechte eingesetzt hatten, 350.000 davon in Indien.

Amerika

Die Bevölkerungen Mittel- und Südamerikas haben längst erkannt, dass der freie Handel keine Verbesserung ihrer Lebenssituation bringt. Im Gegenteil. »Die Regierungen der Region setzen ihre Arbeit an der Gesamtamerikanischen Freihandelszone (FTAA) auch angesichts nachdrücklicher Opposition seitens ihrer Bevölkerungen fort«, schreiben die Verfasser des IBFG-Jahresberichtes 2004. »Sie verpflichten sich zur Entwicklung und Integration durch die Liberalisierung des Handels, verabsäumen es aber, Schutzmechanismen für die Rechte der Arbeitnehmer vorzusehen. Viele Regierungen und vor allem multinationale Unternehmen scheinen entschlossen zu sein, diejenigen zu unterdrücken, die sich um die Verteidigung dieser Rechte bemühen.«

Beliebt sind in Amerika Morddrohungen im Feldzug gegen gewerkschaftliche Organisation. Dokumentiert wurden 356 Fälle, 295 allein in Kolumbien. Für 94 Menschen wurde in Amerika aus der Drohung ernst. »Die Privatisierungsbestrebungen scheinen die Regierungen entschlossen zu machen, die Gewerkschaftsbewegung zu zerstören«, vermuten die Verfasser des Berichtes. Dokumentiert werden auch Rechtsverletzungen aufgrund von Regierungsmaßnahmen, wie Verhaftungen, Schikanierungen und Kriminalisierung von Gewerkschaftsprotesten. Neu war, dass 30 Prozent der Opfer Frauen waren. (Um 600 Prozent mehr als im Jahr davor.)

Bezeichnend für die Situation in den Freien Exportzonen ist der Fall von Betrieben der »Grupo M«, des größten Kleiderherstellers im karibisch-mittelamerikanischen Becken. Er beliefert Marken wie Levi’s, die den österreichischen Finanzminister bekleidenden Tommy Hilfiger oder Polo Ralph Lauren. Die Grupo M ist der größte Arbeitgeber im privaten Sektor in der Dominikanischen Republik und beschäftigt Spezialeinheiten in ihren Betrieben in der Freien Exportzone von Santiago, um gewerkschaftliche Organisation zu verhindern. Eine internationale Gewerkschaftsdelegation berichtet von brutaler Unterdrückung von Organisierungsversuchen der Beschäftigten, Arbeitgebermanövern zur Provokation von Konflikten zwischen Beschäftigten und dem Einsatz von Schlägern.

Gute Nachricht gibt es aus Guatemala. Zwar sind nur rund 3% der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert und das Arbeitsrecht ist in einem Land, wo Angriffe auf Richter nicht selten sind, ein kaum beachtetes Papier. Protestieren lohnt sich dennoch, wie das Beispiel der koreanischen Fabriken Choi & Shin und Cimatextiles in Guatemala zeigt. Choi & Shin produziert Bekleidung für das Unternehmen Liz Claiborne, das den »Fair Label Association«-Verhaltenskodex unterzeichnet und sich so zum Schutz des Rechtes auf Gründung einer Gewerkschaft und KV-Verhandlung verpflichtet hat. Der zähe Arbeitskonflikt ging mit der Unterzeichnung des bisher einzigen Kollektivvertrages in einer Freien Exportzone Guatemalas zwischen Gewerkschaft und dem Unternehmen zu Ende.

Schutz vor Arbeitnehmern

Mexiko, das nördliche Nachbarland Guatemalas, wurde seit Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA mit so genannten Weltmarktfabriken förmlich überschwemmt. Allein in der Region Tijuana haben sich 3000 derartige Fabriken angesiedelt. Einer von einer mexikanischen Nichtregierungsorganisation durchgeführten Studie zufolge verdienen die mehr als 1,3 Millionen Beschäftigten in den mexikanischen »Maquiladoras« weniger als 6 US-Dollar pro Tag. Nur 40 Prozent behalten ihren Arbeitsplatz länger als drei Monate. Das IBFG-Resümee: »Generell ist es die Regierungspolitik, den Betrieb der Maquiladoras hinter verschlossenen Türen zuzulassen und sie vor kollektiven Aktivitäten der Arbeitnehmer zu schützen. Es muss festgestellt werden, dass die mexikanischen Behörden in ihrem Bemühen um Auslandsinvestitionen nichts dagegen unternehmen.«

Auch in Chile, dessen Wirtschaft sich weiterhin gut entwickelte und das mit dem sozialistischen Präsidenten Ricardo Lagos »gewerkschaftsfreundlicher« ist als seine Vorgänger in der jüngeren Vergangenheit des Landes, hat die Wettbewerbsfähigkeit Vorrang vor Arbeitnehmerrechten. Anzeichen auf gerechtere Verteilung des Profites fehlen. Auch die Gewerkschaftsfreundlichkeit hat ihre Grenzen. So wurde die Demonstration während eines landesweiten Streikes gegen die Folgen der neoliberalen Politik, die zu Lohnkürzungen und Arbeitsplatzverlusten geführt hatte, mit Wasserwerfern und Tränengas beendet.

Nordamerika

»Die jetzige Regierung der USA ist die arbeitnehmerfeindlichste seit der Regierung Herbert Hoover«, meint der Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO, John Sweeny. »Sie hat 40.000 ihrer eigenen Beschäftigten das Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen abgesprochen.« Der Kampf gegen die gewerkschaftliche Organisation ist zu einem florierenden Gewerbezweig geworden. Beraterfirmen und Anwaltskanzleien haben sich darauf spezialisiert, die Arbeitnehmerrechte, wie das auf Kollektivvertragsverhandlung, zu unterdrücken. Sicherheitsdienste stellen sich für die Zerschlagung von Gewerkschaften zur Verfügung. »Rund 75 Prozent der Arbeitgeber bedienen sich angesichts gewerkschaftlicher Organisierungskampagnen der Dienste dieses Gewerbes«, berichtet der IBFG. »Rund 92 Prozent der Arbeitgeber zwingen die Beschäftigten, an geschlossenen Sitzungen teilzunehmen, bei denen gewerkschaftsfeindliche Propaganda betrieben wird, wenn sie feststellen, dass ihre Beschäftigten eine Gewerkschaft gründen wollen. Zuweilen drohen sie auch mit der Verlagerung des Betriebes. Das geschieht in 60 Prozent der Produktionsbetriebe.«

Auch Kanada habe es verabsäumt, mit gutem Beispiel voranzugehen, meint der weltweit größte internationale Gewerkschaftszusammenschluss IBFG: Öffentlich Bediensteten wurden Gewerkschaftsrechte verweigert, das Kollektivvertragsverhandlungsrecht und das Streikrecht wurden weiter gesetzlich eingeschränkt.

Europa

Der IBFG-Bericht spricht von alarmierenden Trends gewerkschaftsfeindlicher Maßnahmen in Osteuropa. Die schlimmsten Verletzungen traten außerhalb der Europäischen Union auf, am eklatantesten in Weißrussland. Jeder, der im Land des Präsidenten Lukaschenko protestiert, läuft Gefahr, verhaftet zu werden, wie mehrere Gewerkschafter feststellen mussten. Auch in Europa, so der IBFG, sind die ausländischen Unternehmen, vor allem Multis, die gewerkschaftsfeindlichsten Arbeitgeber. Gelbe Gewerkschaften, etwa in Rumänien, Moldawien, Georgien und Russland, werden häufig als Gegengewicht zu den unabhängigen Gewerkschaften gegründet.

Westeuropa kommt im dem Bericht weniger, aber doch vor: So kam die britische Gewerkschaft »Trades Union Congress« (TUC) zu dem Schluss, dass einige britische Arbeitgeber dem nordamerikanischen Beispiel folgen. Sie heuern US-Berater an, um gewerkschaftliche Organisation zu verhindern.

In der Schweiz beendete der Einzelhandelsriese Migros im August 2003 einen Tarifvertrag (Kollektivvertrag) mit der Gewerkschaft Verkehr, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL), einer der bei Migros vertretenen Gewerkschaften. Der Grund: Der geplante Zusammenschluss der VHTL, der Baugewerkschaft (GBI) und der Gewerkschaft für Industrie, Gewerbe und Dienstleistung (SMUV) zu einer neuen Gewerkschaft namens UNIA im Jahr 2005. Die Geschäftsleitung des als knausriger Arbeitgeber und Lohndrücker bekannten Unternehmens schickte ein internes Rundschreiben an alle Filialen, mit dem Hinweis, dass nach Aufkündigung des Tarifvertrages keinerlei gewerkschaftliche Maßnahmen geduldet würden. Selbst das Verteilen von Flugblättern sei untersagt. Die Filialleiter wurden angewiesen, die Polizei einzuschalten, sollte dies dennoch geschehen.

Die »Globalisierung« der Solidarität, Motto des IBFG-Kongresses 2004 in Japan, ist dringender denn je.

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