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Umgehungsverträge Anders als etwa bei FabriksarbeiterInnen, bei ­denen auch keine "Vernetzung" stattfinde, gäbe es aber immerhin Anerkennung, so der junge Wissenschafter ironisch.

Umgehungsverträge

Schwerpunkt

Mit freien Dienstverträgen und Werkverträgen werden Arbeitsverhältnisse fixiert, die ihrem Grund nach Anstellungen sind.

Es ist gängige Praxis, Verträge mit ArbeitnehmerInnen abzuschließen, die mit 'freier Dienstvertrag‘ oder 'Werkvertrag‘ betitelt werden, ihrem Inhalt nach aber einem echten Dienstverhältnis entsprechen", erklärt Bernd Kulterer von der Interessengemeinschaft work@flex der GPA-djp. Die Definition: Freie DienstnehmerInnen verpflichten sich auf bestimmte oder unbestimmte Zeit, gegen Entgelt eine Leistung zu erbringen. Im Gegensatz zu Beschäftigten in einem Standardarbeitsverhältnis besteht weder persönliche Abhängigkeit noch Weisungsgebundenheit gegenüber dem/der ArbeitgeberIn.

Kontrolle zeigt Wirkung

Auf kleinen Märkten, wie Österreich, ist das Fehlen von Abhängigkeit aber meist Theorie. Davon kann Laura W. berichten, die als freie Dienstnehmerin in einem Architekturbüro tätig war. Drei Monate vor der Geburt ihrer Tochter beendete sie wegen frühzeitiger Wehen die Arbeit. Der Arbeitgeber rief sie zu Hause an und nötigte sie, das Projekt fertigzustellen. "Theoretisch hätte ich klagen können", meint Laura, "aber praktisch ist das nicht so einfach." Ihr wurde vorgeworfen, "den Betrieb 'durch Unterbrechung eines laufenden Projekts‘ in die roten Zahlen zu treiben". "Mein Arbeitgeber hat viele KollegInnen in der Branche, ich hätte in keinem Architekturbüro mehr einen Job gekriegt." Trotz ärztlich verordneter Bettruhe verbrachte sie viele Stunden im Büro. Heute arbeitet Laura, auf Basis eines Werkvertrages, in einem anderen Büro derselben Branche. Laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger ist die Zahl der freien DienstnehmerInnen von 15.000 (1998) auf rund 26.000 (2008) gestiegen. Auffallend ist der relativ hohe Rückgang (-4,7 Prozent) freier Dienstverträge 2007, einem Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von immerhin 3,1 Prozent und einem Anstieg der unselbstständig Beschäftigten von knapp zwei Prozent. Einiges deute darauf hin, heißt es in der Broschüre "Flexicurity - kritisch betrachtet", dass die Kontrolle der Umgehungen von Arbeitsverhältnissen durch die Gewerkschaften Wirkung zeige. So waren in der "Call-Center-Kampagne" von work@flex die Arbeitsverträge der gesamten Branche durch die Gebietskrankenkassen überprüft worden. Das Ergebnis: Die meisten Call-Center-Agents seien regulär angestellt worden.
Möglichst kostengünstig und "unbürokratisch" soll die Arbeitskraft für Unternehmen sein. In Zeiten, in denen auch der Staat sich als solches gebärdet und die Grenzen zwischen den unterschiedlichsten Beschäftigungsverhältnissen diffuser werden, könnte eine zeitgemäße Definition von "ArbeitnehmerIn" Klarheit schaffen.Von zahlreichen Umgehungsverträgen berichtete Christine Rudolf, politische Sekretärin der Kon­sequenten Interessenvertretung/Unabhängigen GewerkschafterInnen (KIV/UG) in der GdG-KMSfB bei "Sicher! Nicht flexibel!" der Interessengemeinschaft work@flex. Untertitel dieser Veranstaltung am 23. Jänner in der ÖGB-Fachbuchhandlung in Wien: "Keine atypischen Beschäftigungsverhältnisse durch die öffentliche Hand - keine Umgehungsverträge mit Steuergeldern." Umgehungsverträge nehmen zu, ob in Privatwirtschaft, im öffentlichen Dienst oder bei den Gemeinden. Die Schuldenbremse werde das ihre tun, um diesen Prozess zu beschleunigen, fürchten die VeranstalterInnen.

Prekäre Arbeitsverhältnisse

Dienstleistungen werden heute nicht mehr "nur" an Fremdfirmen vergeben, weiß die AK-Rätin Rudolf. Freie DienstnehmerInnen gibt es inzwischen auch in den ausgegliederten Betrieben, wie Wien Museum oder Wiener Wohnen. Vor allem im Sozialbereich, etwa beim Fonds Soziales Wien, steigen frei vergebene Dienstleistungen, die vielfach prekäre Arbeitsverhältnisse sind. Eine Praxis, die an den Universitäten schon länger gang und gäbe ist, berichtete Mario Becksteiner, freier Wissenschafter und Mitglied der 1996 ­gegründeten Interessengemeinschaft LektorInnen und WissensarbeiterInnen. Von den über 6.000 WissensarbeiterInnen sind höchs­tens 400 als fixe ProfessorInnen angestellt. Etwa 2.000 LektorInnen arbeiten in unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen, meist auf sechs Monate be­fristet. Der Rest teilt sich auf wissenschaftliche AssistentInnen, ProjektmitarbeiterInnen und immer mehr sogenannte DrittmittelarbeiterInnen auf, erzählt Becksteiner.

Segmentierung der Belegschaften

Es handle sich, so Becksteiner, um einen Trend, der zu "sozialer Zerfaserung der Belegschaft von den Rändern ins Zentrum hinein" führe. In einem "de facto gewerkschaftsfreien Raum" würden die Studierenden an prekäres Arbeiten gewöhnt. Anders als etwa bei FabriksarbeiterInnen, bei denen auch keine "Vernetzung" stattfinde, gäbe es aber immerhin Anerkennung, so der junge Wissenschafter ironisch. Und auch wenn die Arbeit vielfach eine prekäre ist: Sie basiere auf Austausch und Kommunikation. Vielleicht auch eine Art von Kapital?
"Die Vorteile eines freien Dienstvertrages bzw. eines Werkvertrages liegen für den Unternehmer auf der Hand", stellt die AK in der Broschüre "Der Freie Dienstvertrag: Arbeits-, Sozialversicherungs- und steuerrechtliche Grundlagen" fest. Arbeitsrechtliche Ansprüche, wie 13. und 14. Monatsgehalt, müssen nicht bezahlt werden. Die Versteuerung des Einkommens wird vom Dienstnehmenden selbst durchgeführt. Schmackhaft gemacht werde diese Form der Beschäftigung mit auf den ersten Blick höheren Stundenlöhnen oder Honorarsätzen, wobei die ArbeitnehmerInnen im Wesentlichen zu denselben Rahmenbedingungen wie andere DienstnehmerInnen tätig sind. Die freie Gestaltung der Arbeitszeit stehe meist nur auf dem Papier. Zudem fehlen arbeitsrechtliche Ansprüche, wie bezahlter Urlaub, Krankenstand oder Sonderzahlungen.
"Dieser Flucht aus dem Arbeits- und Sozialrecht in freie Dienstverträge und Werkverträge wurde zunächst durch die mit dem Inkrafttreten des Arbeits- und Sozialrechtsänderungsgesetz (ASRÄG) erfolgte Einbeziehung der freien Dienstnehmer in die Pflichtversicherung des ASVG bzw. der 'Neuen Selbständigen‘ in das GSVG entgegengewirkt", konstatiert die AK. Seit 1. Jänner 2008 sind sie auch in das Arbeitslosenversicherungsgesetz, in das System der "Abfertigung Neu" und das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz eingeschlossen. Dennoch: "die erheblichen arbeitsrechtlichen Nachteile dieser Beschäftigungsformen sind nach wie vor gegeben".
Kenntnis der Unterschiede zwischen den einzelnen Vertragstypen ist nicht nur wesentlich, um Nachteile von atypi­schen Beschäftigungsverhältnissen besser abschätzen zu können. Auch um zu wissen, ob es sich tatsächlich um ein solches oder um ein klassisches Dienstverhältnis mit allen arbeitsrechtlichen Ansprüchen handelt. So entschied etwa der Oberste Gerichtshof bereits 2003 zugunsten von zwei Zeitungskolporteuren, die nach Vertragsende Abfertigung und Urlaubsentschädigung gefordert hatten. Urteils­entscheidend war nicht die Vertragsschablone, sondern die tatsächliche Ausübung des Vertrages. So hatten die beiden "Freien" genaue Vorgaben hinsichtlich Arbeitsort und -zeit, auch eine bestimmte Arbeitskleidung und vorgegebenes Verhalten waren angeordnet. Im Zweifelsfall lohnt es sich, Rat bei ÖGB oder AK einzuholen. Denn auch bei Unterzeichnung eines Umgehungsvertrages können die zustehenden Rechte aus einem ordentlichen Arbeitsverhältnis (gerichtlich) geltend gemacht werden. Zu beachten ist, dass hier die dreijährige Verjährungsfrist gilt.

Definition aus dem Jahr 1916

Schon seit Jahren fordern AK und ÖGB, den ArbeitnehmerInnenbegriff zu überdenken und neu zu definieren. Die aus dem Jahr 1916 stammende Definition orientiert sich am Bild des an ­Arbeitszeit und -ort gebundenen Arbeitnehmers, der im wahrsten Sinn des Wortes "unselbstständig" war. Neben der persönlichen ­Abhängigkeit müsste heute auch die wirtschaftliche Abhängigkeit eine Rolle spielen. Unternehmen, die vorsätzlich durch freie Dienst- oder Werkver­träge reguläre Arbeitsverhältnisse umgehen, sollten stärker zur Kasse gebeten werden. Die Veranstaltung in der ÖGB-Buchhandlung fand mit einem Imbiss ihren Ausklang. Man möge nicht fragen, meinte der Einladende, welche Arbeitsverträge das Cateringpersonal habe.

Internet:
Mehr Infos unter:
www.gpa-djp.at/gutearbeit 
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gabriele.mueller@utanet.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

Info&News
"Der freie Dienstvertrag. Arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtliche Grundlagen." Mag.a Dagmar Petter, aktualisiert im Jänner 2011. AK-Infoservice
"Flexicurity - kritisch betrachtet: Best Practice, Modetrend oder Zukunfts­konzept", GPA-djp.

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