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Phönix Tölle von der Gewerkschaft vida Phönix Tölle setzt sich in der vida für die Rechte der Lehrlinge ein. Nicht immer halten sich Arbeitgeber in Tourismus und Gastronomie an die KV-Regelung, dass Jugendliche zwei Tage pro Woche bzw. nach zehn Tagen Arbeit vier Tage frei haben müssen.

Kreative Ideen zur Umgehung

Schwerpunkt Kollektivverträge

In Österreich gibt es viele Wege, um Verstöße gegen Kollektivverträge zu bekämpfen. Dennoch finden Arbeitgeber immer wieder Schlupflöcher.

Samstagnacht, drei Uhr früh. Eine Bar, irgendwo in Österreich. Sperrstunde wäre um zwei Uhr gewesen. Die KellnerInnen haben grelles Licht aufgedreht. Dennoch macht eine Gruppe von Feierlaunigen keine Anstalten zu gehen. Das Personal ist angehalten, freundlich zu sein – auch zu jenen Gästen, die sie seit einer Stunde davon abhalten, nach Hause zu gehen –, auch dann, wenn sie wissen, dass ihnen die letzte Stunde wie üblich nicht als Überstunde ausbezahlt wird.
Kollektivverträge (KV) sollten ArbeitnehmerInnen vor solcherart Ausbeutungen schützen. Regelmäßig werden sie neu verhandelt, um die Gehälter an die aktuelle Wirtschaftslage anzupassen und Rahmenbedingungen wie Arbeitszeiten, Urlaubs- und Überstundenansprüche zu definieren. Da die KV-Abdeckung in Österreich sehr hoch ist, könnte man meinen, dass alles gut ist. Doch in der Praxis werden Kollektivverträge nicht immer eingehalten.

Flexible Anwendung
Phönix Tölle, Bundesjugendsekretär in der Gewerkschaft vida, nennt Beispiele aus dem Lehrlingsbereich, wo es – jedenfalls in Tourismus und Gastronomie – besonders bei den Arbeitszeiten öfter zu Gesetzes- oder KV-Übertritten kommt. So dürfen etwa Jugendliche bis 16 keine Überstunden machen, ab dann höchstens drei Stunden pro Woche. Tölle: „Da gibt es die meisten Überschreitungen. Die Arbeitszeiten sind im Tourismus gerade am Wochenende sehr flexibel.“ Nicht immer würden sich Arbeitgeber an die im KV festgelegte Regelung halten, dass Jugendliche zwei Tage pro Woche bzw. nach zehn Tagen Arbeit vier Tage frei haben müssen. Arbeite ein Jugendlicher am Wochenende, müsse das dem Arbeitsinspektorat gemeldet werden.
Mehr als ein Viertel brechen ihre Lehre vorzeitig ab. Tölle wundern die hohen Abbruchzahlen im Tourismus nicht: „Unter diesen Rahmenbedingungen wollen die Jugendlichen keine Lehre machen.“ Dabei gebe es einen „gewaltig hohen“ Fachkräftemangel. Manche Überschreitungen wirken absurd. So sollten Lehrlinge laut KV eine Dienstkleidungspauschale von circa 35 Euro im Monat erhalten. Tölle: „Diese wird oft nicht bezahlt. Meistens weiß der Lehrling nicht, dass er sie bekommen sollte.“
Manche Arbeitgeber umgehen die Regelung, indem sie Lehrlinge einen Zusatzvertrag unterschreiben lassen, in dem sie auf die Pauschale verzichten. Im Gegenzug sollte ihnen die Kleidung zur Verfügung gestellt und für die Reinigung gesorgt werden. Tölle: „Der Arbeitgeber gibt aber oft nur ein Hemd her – das war’s.“

Kein Kündigungsgrund
ArbeitnehmerInnen, denen Rechte aus dem KV verwehrt werden, können sich wehren. Phönix Tölle weist darauf hin, dass etwa ArbeitnehmerInnen zu ihrem eigenen Schutz selbst Arbeitsstundenaufzeichnungen führen sollten. Manche Arbeitgeber würden einen Arbeitszeitnachweis erstellen, in dem geleistete Überstunden fehlen: „So etwas sollte nie unterschrieben werden – das ist auch kein Kündigungsgrund.“
Falls die Forderungen im Betrieb zu keiner Verbesserung führen, bleibt oft nur der Weg zu Gewerkschaft und Arbeiterkammer, im Fall von Lehrlingen zur Kinder- und Jugendschutzstelle der AK, bzw. der Rechtsweg. Meistens wird erst nach Ende des Dienstverhältnisses geklagt. Generell ist der KV laut Martin Risak, Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Wien in Österreich, von mehreren Seiten gut abgesichert. Zunächst kann jede/r betroffene ArbeitnehmerIn eine Klage einreichen. Der Betriebsrat darf nicht klagen, aber Arbeitsverträge einsehen, um zu kontrollieren, ob diese laut KV korrekt sind.
Außerdem können die Sozialversicherungsträger rechtlich dagegen vorgehen, wenn ihnen durch Unterentlohnung Beiträge entgehen. Risak: „Die Sozialversicherungsabgaben werden nach dem Anspruchsprinzip bemessen.“ Das heißt: „Bei der gemeinsamen Prüfung der lohnabhängigen Steuern und Abgaben schauen sich die Prüfer und Prüferinnen nicht das Geld an, das ihnen ausbezahlt wird, sondern, wie viel eigentlich nach dem Kollektivvertrag bezahlt werden hätte müssen.“ Ihnen ist egal, ob das eingeklagt wurde – sie schreiben Arbeitgebern diese Beträge trotzdem vor.

Weiters gilt das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz. Bei Übertretungen erhalten Arbeitgeber Verwaltungsstrafen. Und es gäbe noch eine Möglichkeit, die jedoch laut Risak in Österreich kaum zur Anwendung kommt: „Arbeitgeber könnten andere Arbeitgeber wegen unlauteren Wettbewerbs klagen, wenn diese mit ihnen im Wettbewerb stehen und unter dem Kollektivvertrag bezahlen.“ Die Tatsache, dass alle ArbeitnehmerInnen in Österreich AK-Pflichtmitglieder sind und damit Rechtsschutz haben, ist laut Risak ein wichtiger Grund, warum die Rechtsdurchsetzung von Kollektivverträgen in Österreich ganz gut funktioniere.
Dennoch finden Arbeitgeber immer wieder Schlupflöcher, um sich um die Mindeststandards der Kollektivverträge herumzudrücken. Die meisten Probleme im Bereich des Lohn- und Sozialdumpings sind aus dem Baubereich bekannt. Dort gehen Betriebe des Öfteren in Konkurs und scheinen wieder unter anderem Namen auf – und kommen so um Abgaben und Schulden herum. Risak: „Ich höre auch, dass dort Personen, insbesondere migrantische ArbeitnehmerInnen, zum Teil das Geld korrekt überwiesen bekommen, es dann abheben und wieder zurückzahlen.“
Auf dem Papier ist damit alles korrekt. Risak verweist zudem auf die Gastronomie, wo zumindest bis zur Einführung der Registrierkasse viel Geld schwarz von Geldbörse zu Geldbörse floss. ArbeitnehmerInnen waren manchmal offiziell nur Teilzeit beschäftigt, arbeiteten aber Vollzeit und wurden teils mit Schwarzgeld bezahlt. Risak: „Das funktioniert natürlich nur, wenn schwarzes Geld da ist. Deshalb sind die Branchen, die Cash-Business sind, anfälliger dafür.“

Umgehungen
Eine Umgehungsmethode ist, den ArbeitnehmerInnen Vordienstzeiten nicht ausreichend anzurechnen und sie in eine geringere Gehaltsstufe einzuordnen – oder gleich das falsche Gewerbe einzureichen, wo ein für den Arbeitgeber günstigerer KV gilt.
Besonders interessant ist die systemische „Umgehung“ von Kollektivverträgen, die in letzter Zeit zunimmt: die Selbstständigkeit, die auf den ersten Blick nichts Anrüchiges hat. Risak: „Die Gruppe der Solo-Selbstständigen, die keine klassischen Selbstständigen sind, weil sie von wenigen Auftraggebern abhängig sind, wird größer.“ Diese Personen könnten, ähnlich wie echte ArbeitnehmerInnen, ihre Honorare und andere Rahmenbedingungen nur schlecht verhandeln.
Oft sind das heute nicht mehr wie früher die am höchsten Qualifizierten wie ArchitektInnen und AnwältInnen. Als Beispiel nennt Risak die Erwachsenenbildung. Auf europäischer Ebene beobachtet er den Trend der Verlagerung von Kollektivverträgen auf die betriebliche Ebene. Noch werden in Österreich Kollektivverträge vor allem für ganze Branchen verhandelt.
Alois Bachmeier, stellvertretender Bundesgeschäftsführer der GPA-djp, kann keine Branchen ausmachen, in denen Verstöße gegen den KV besonders häufig wären. Er glaubt aber, dass vieles passiert, das nie zur Gewerkschaft durchdringt: „Ich denke, dass die Dunkelziffer in Österreich eine Riesenzahl ist.“ Dass man bei der Einstellung einen suboptimalen Vertrag akzeptiert, kann Bachmeier verstehen: „In erster Linie freut man sich über ein gutes Einvernehmen und will nicht daran denken, was nicht passt.“ Rechtzeitige Vorsicht empfiehlt sich aber, denn im Nachhinein ist meist nicht mehr viel zu gewinnen.

Kampf gegen Dunkelziffer
Bachmeier nennt als Beispiel einen Arbeitnehmer, der im KV falsch eingestuft wurde und jahrelang zu wenig Gehalt bekommen hat: „Das Beste, was er bekommen kann, ist das, was ihm zusteht.“ Strafen für Arbeitgeber wären aus seiner Sicht wünschenswert.
Jederzeit können bei der Gewerkschaft Dienstverträge im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem KV geprüft werden – Bachmeier fordert Mitglieder dazu auf, das zu tun und damit „die Dunkelziffer im großen Stil zu bekämpfen“.

Buchtipp:

Wolfgang Brodil, Martin Risak, Christoph Wolf: Arbeitsrecht in Grundzügen, Verlag LexisNexis: tinyurl.com/jg2a7po

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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